Die Verurteilung des Lukullus

von Paul Dessau / Bertolt Brecht
Oper in zwölf Szenen
Text von Bertolt Brecht nach seinem Radiostück Das Verhör des Lukullus
in deutscher Sprache
Gerade erst wurde der römische Heerführer Lukullus mit einem pompösen Staatsakt zu Grabe getragen, schon muss er Rechenschaft ablegen über seine Verdienste auf Erden. In der Schattenwelt herrschen zu seiner Verstörung andere Verhältnisse: Die Schöffen des Totengerichts gehörten zu Lebzeiten der Unterschicht Roms an. Und der Fries, den Lukullus als Zeugnis seiner triumphalen Erfolge vorweist, erfährt eine völlig neue Lesart, als das Gericht die darauf Dargestellten in den Zeugenstand ruft.Sogar die kulinarischen Neuerungen des einstigen Genussmenschen scheinen wenig zu beeindrucken.

1949 arbeiteten Bertolt Brecht und Paul Dessau, beide zurück aus dem Exil, in ihrer Wahlheimat Ostberlin ein Radiostück zur Oper um, mit dem Brecht bereits zehn Jahre zuvor jeglicher militärischen Expansion den Prozess gemacht hatte. Mittlerweile stand eine ganze (bzw. mindestens zweigeteilte) Nation vor der Frage nach der Verantwortung für einen verbrecherischen Krieg. Zu welchen Schlüssen das damalige Publikum auch immer gekommen sein mag – die Autoren wünschten sich eines mit kritischer Urteilskraft –, das Kollektiv auf der Bühne beendet den Prozess mit einer Verdammung des obersten Feldherren: „Ins Nichts mit ihm!“

Die Uraufführung der Partitur mit ihrem spektakulären Bläser- und Schlagwerkaufgebot geriet 1951 zum kulturpolitischen Skandal. Siebzig Jahre danach unterziehen sie Julia Lwowski und Franziska Kronfoth vom Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen mit dem Dirigenten Bernhard Kontarsky einer Neubewertung. Einen Prozess im Wortsinn führend, nämlich als unaufhörliche Suche, fügen sie Bruchstücke der Vergangenheit zusammen und begeben sich in die Tiefenschichten der Erde. Lässt sich dort Nährstoff für neue Denkansätze finden, wie wir in Zukunft leben wollen? Wer darf für wen Zeugnis ablegen? Und wer müsste sich eigentlich heute wem gegenüber verantworten, wenn wir unseren Begriff von Gerechtigkeit beim Wort nähmen?
Ort
Opernhaus
Dauer
1h 45min, keine Pause
Uraufführung
1951 in Berlin

Premiere dieser Produktion
1. November 2021

Altersempfehlung
ab Klasse 9
45 Minuten vor Vorstellungsbeginn findet eine Einführung im Foyer I. Rang statt.

Hinweis: In einer kurzen Szene kommt helles, schnell wechselndes Gegenlicht zum Einsatz.

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Das Stück in Kürze
Der Feldherr Lukullus ist tot. Mit einem pompösen Trauerzug erinnert die Stadt Rom an seine ruhmreichen und gewinnbringenden Feldzüge. Lukullus selbst gelangt ins Schattenreich. Dort herrschen zu seinem Erstaunen andere Verhältnisse: Vor einem Totengericht muss der Verstorbene Rechenschaft ablegen über seinen Beitrag zum Wohl der Menschen. Die Schöffen des Gerichts gehörten zu Lebzeiten der römischen Unterschicht an und zeigen sich von Lukullus’ Ehrentiteln und seiner noblen Herkunft wenig beeindruckt. Und der Fries seines Grabmals, den Lukullus zum Beweis seiner militärischen Triumphe ins Schattenreich bringen lässt, erfährt eine vollkommen neue Deutung, als das Gericht die darauf abgebildeten Kriegsgefangenen und Legionäre in den Zeugenstand ruft.
Handlung
Mit einem aufwändig inszenierten Trauerzug erweist die Stadt Rom dem Feldherrn Lukullus die letzte Ehre und erinnert sich seiner erfolgreichen Feldzüge gegen Asien. Zum Zeugnis dieser Heldentaten dient auch ein Fries, auf dem der Triumphzug des Lukullus dargestellt ist, und der sein Grabmal schmücken soll.

Nach dem Ende der Feierlichkeiten und der Beisetzung des Toten kehren die Lebenden rasch zu ihren täglichen Geschäften zurück: an die Arbeit, in die Kneipe oder zum Hunderennen. Die Schlachten des Lukullus werden zum Schulstoff. Die Kinder sollen sich das Leben ruhmreicher Männer wie Lukullus zum Vorbild nehmen. An der Pforte zum Schattenreich muss Lukullus warten. Ungeduldig verlangt er so empfangen zu werden, wie es seinem Rang und Namen gebührt. Seine lautstarken Beschwerden verhallen ungehört. Erschöpft sehnt er sich nach seinem Koch Lasus und dessen kulinarischen Sinnesreizen.

Tertullia, eine ältere Frau, die mit ihm wartet, rät Lukullus zu Geduld: Das Totengericht prüft die Lebensleistungen jedes neuankommenden Schatten genau, bevor es über seinen endgültigen Aufenthaltsort entscheidet – den finsteren Hades oder das Gefilde der Seligen. Die Alte erhofft sich von den Schöffen Verständnis für die Lage der kleinen
Leute und für sich selbst ein rasches und mildes Urteil. Als Lukullus an der Reihe ist, stellt der Totenrichter ihm die Schöffen des Totengerichts vor, die ihn zu seinen Taten befragen werden.

Zu Lebzeiten waren sie: ein Bauer, ein versklavter Lehrer, ein Bäcker, ein Fischweib, eine Kurtisane. Lukullus erhält das Recht, einen Fürsprecher im Schattenreich zu wählen. Er entscheidet sich für den griechischen Feldherrn Alexander von Mazedonien, da dieser seine militärischen Erfolge mit Sachverstand beurteilen könne. Als sich Alexander auch nach mehrmaligem Ausrufen nicht meldet, beantragt Lukullus, den Fries seines Grabmals als Beweisstück holen zu lassen. Der Totenrichter gibt dem Antrag statt.

Sklaven, die ein Dasein am Rand des Todes fristen und daher die Grenze zur Schattenwelt ohne Schwierigkeiten passieren, bringen den Fries. Stolz erläutert Lukullus dem Gericht die darauf abgebildeten Figuren: ein fremdes Königspaar auf dem Weg in die Kriegsgefangenschaft, einen Mann mit Kirschbaum, eine Gruppe Mädchen mit einer Tafel, in welche die Namen eroberter Städte gemeißelt sind, einen sterbenden Legionär, Lukullus’ Koch mit einem Fisch.
Das Gericht nimmt den Fries zur Kenntnis, beschließt aber, zum besseren Verständnis von Lukullus’ Leistungen die Schatten der auf dem Fries Abgebildeten in den Zeugenstand zu rufen.

Der fremde König kann nur bestätigen, was Lukullus selbst stolz berichtet: dass er dessen Land in wenigen Tagen blitzartig eingenommen hat. Die Königin findet kaum Worte für ihr traumatisches Erleben des Überfalls, als fünfzig Soldaten sie überwältigten. Die Kurtisane versteht sie dennoch. Von den eroberten Städten wissen die Kinder zu berichten, dass Lukullus sie dem Erdboden gleich machte. Dieser versteht nicht, wie man seine militärischen Erfolge gegen ihn auslegen könne und verweist empört auf die Befehle, denen er gefolgt sei sowie auf die eroberten Reichtümer, mit denen er Roms Wohlstand vermehrt habe.

Das einstige Fischweib fragt nach dem Verbleib dieser Reichtümer, die weder sie noch die gefallenen Legionäre auf dem Fries jemals zu Gesicht bekommen hätten. Als Lukullus sie für unfähig erklärt, einen Feldzug zu beurteilen, stellt sie ihre Sicht des Krieges dar. Der habe ihr zwar nichts eingebracht, aber etwas genommen: ihren Sohn.

Positiver ins Gewicht fällt die Befragung der letzten beiden Schatten: Der Koch Lasus zeigt sich dankbar dafür, dass er für Lukullus raffinierte Rezepte ausprobieren und so seinen Beruf zur Kunst verfeinern konnte. Der Kirschbaumträger erinnert daran, dass Lukullus mit der Beute der Feldzüge auch den Kirschbaum von Asien nach Rom brachte. Der Schöffe, der zu Lebzeiten ein Bauer war, tauscht sich mit Lukullus fachmännisch über die Pflege des Kirschbaums aus. Begeistert preist er ihn als schönste aller Kriegstrophäen, die noch in ferner Zukunft den Menschen Freude bringen werde.

Das Fischweib ist empört: Das Gericht soll sich von dieser Beute nicht täuschen lassen. Auch der Lehrer rechnet diese nützliche Trophäe gegen die Summe aller Gefallenen und Opfer der Feldzüge auf. Nach und nach geben die Schöffen ihr Urteil ab: Sie verurteilen Lukullus und seine Eroberungen als Geißel der Menschheit. Die Schatten der gefallenen Legionäre und die Sklaven stimmen in die kollektive Verdammung des Feldherrn ein: „Ins Nichts mit ihm!“

Bildergalerie

„Unter den Solisten ist Gerhard Siegel in der Titelpartie zu loben, so herrlich machohaft und unbekümmert, wie er den feisten Gourmet und Raffzahn gab, ein vom Himmel gefallener Luzifer mit großem Schlafbedürfnis.“
BR.de
Peter Jungblut, 01.11.2021

"Die Verurteilung des Lukullus" lockt, drei Wochen vor dem "Rheingold", zur ersten Premiere der Saison, und das Publikum jubelt.
nachtkritik.de
Thomas Rothschild, 01.11.2021

„Blendendes Theater korrespondiert mit großartiger Theatermusik: Bernhard Kontarsky dirigiert mit viel Traute Staatsorchester, Ensemble, Chor und Trautonium in der Oper. Volles Haus. Riesenbeifall.“
Stuttgarter Zeitung Nachtkritik
Mirko Weber, 1.11.2021

„Nach der Ausnahmezeit durch Corona gelingt der Stuttgarter Oper mit „Lukullus“ eine Ausnahmeproduktion. Und der Beifall will am Montagabend gar nicht mehr aufhören.“
Stuttgarter Zeitung Nachtkritik
Mirko Weber, 1.11.2021

Auszug aus dem Programmbuch

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