Ökozid (UA)

Ein Modellversuch von Andres Veiel & Jutta Doberstein
Schauspielhaus
Dauer – ca. 1:45 Std, keine Pause
Uraufführung
Fr – 24. Sep 21
Ökozid ist Traktat, Drama und forensische Untersuchung – ein Gerichtsprotokoll aus der Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2034. Eine Koalition von 31 Staaten des Globalen Südens klagt vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik Deutschland in der Hoffnung, ein Präzedenzurteil werde die Möglichkeit eröffnen, auch andere Industrienationen zur Verantwortung zu ziehen. Bisher galt der Klimawandel als eine Katastrophe in Zeitlupe. Ein Verbrechen an der Zukunft, welches seine Beweise in der Gegenwart geschickt vertuscht.
Heute, 2023, hat sich die schleichende Katastrophe zu einem Wettlauf gegen die Zeit verwandelt. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Klimageschichte der kommenden Jahrhunderte in den nächsten 10 bis 15 Jahren geschrieben wird. Das ist der Zeitraum, der zum Handeln bleibt. Über 1400 Gerichtsverfahren werden gerade weltweit geführt, um Politiker:innen, Verwaltungen und Industrie zum Handeln zu zwingen, doch die globale Verantwortung wird ausgeblendet. Was wird geschehen, wenn in einer nicht allzu fernen Zukunft Richter:innen über die Versäumnisse der Vergangenheit urteilen? Wenn sie beschließen, dass sich die Völkergemeinschaft von nun an dem Grundrecht der Natur auf Unversehrtheit unterordnen muss, um ein menschenwürdiges Leben für alle zu ermöglichen?
Während Holland überflutet wird, Deutschland austrocknet und Millionen von Menschen auf der Flucht sind, wird im Saal verhandelt, wer für die unumkehrbare Entwicklung verantwortlich ist, wie Gerechtigkeit geschaffen werden kann und wer die Kosten dafür tragen muss. Das Gerichtsdrama von Andres Veiel und Jutta Doberstein wurde in der Spielzeit 2021/22 am Schauspiel Stuttgart uraufgeführt.

Wir möchten darauf hinweisen, dass in der Aufführung nach ca. einer Stunde für kurze Zeit laute Geräusche entstehen.

Pressestimmen

Südwest Presse
Jana Zahner, 27. Sep 21
Veiels Werk zeigte: Auch Fiktion kann dem komplexen Thema gerecht werden. Dass „Ökozid“ auch auf der Bühne funktioniert, ist der wirkungsvollen Inszenierung von Schauspielchef Burkhard C. Kosminski und den Darstellern zu verdanken. Sie verhindern, dass das Stück unter der Last der Fakten zusammenbricht. Josephine Köhler etwa rattert einen komplexen Exkurs über Emissionshandel so mühelos herunter, als würde sie das Vaterunser aufsagen.

Ebenfalls herausragend: Nicole Heesters verkörpert die greise Ex-Bundeskanzlerin als beherrschte, würdevolle Machtpolitikerin, die zum Schluss menschliche Größe beweist. Wenn Heesters übergroß auf einer Leinwand zu sehen ist, dann genügen ihr wenige Gesichtsmuskeln, um von der inneren Zerrissenheit der Kanzlerin zu erzählen.

Was das Stück auf die Bühne bringt, ist die Geschichte einer kollektiven Verdrängung.

Zur vollständigen Kritik
Stuttgarter Zeitung
Roland Müller, 27. Sep 21
Nicht alle, aber viele Figuren treten mit erfundenen Namen auf, aber alles, was sie in Rede und Gegenrede zur Sprache bringen, fußt auf jener akribischen Recherche, für die namentlich der in Stuttgart geborene, in Berlin lebende Dokumentarfilmer Andres Veiel berühmt ist. Im Jüngsten Gericht des Klimadramas blickt er jetzt hinter die Kulissen des Polit- und Lobbybetriebs, ruft Akteure aus Konzernen und Kommissionen auf und beleuchtet ihre Komplizenschaft bei der Sabotage eines wirksamen Klimaschutzes. Alles wahr und skandalös…

[Ökozid] fordert die Zuschauer heraus. Womöglich überfordert es sie auch, weshalb Burkhard C. Kosminski mit seiner Regie die Dialoge sporadisch aufbricht und Leben in die Gerichtsbude bringt. Seine Methode: mit Kontrapunkten voller Entertainment die Volkshochschule im Theater unterlaufen. … Wenn […] eine andere NGO die Tricks beim Greenwashing der SUVs bloßlegt, performt Boris Burgstaller eine mit Szenenapplaus belohnte kabarettistische Attacke.

Nicole Heesters imitiert und parodiert die Kanzlerin nicht, sondern verleiht ihr eine souveräne Würde. Statt eines faulen Vergleichs fordert sie, bekehrt vom Prozessverlauf, ein klares Urteil.

Zur vollständigen Kritik
Süddeutsche Zeitung
Christine Dössel, 28. Jan 22
Wie Heesters die Bundeskanzlerin a.D. spielt, hat Klasse. Sie verweigert die Raute und tut auch sonst einen Teufel, Merkel zu imitieren. Dass sie auf dem Handy herumdaddelt, ist das einzige Zugeständnis. Ansonsten überzeugt sie schlicht mit Würde und rednerischer Souveränität.
Zum Porträt über Nicole Heesters
Esslinger Zeitung
Elisabeth Maier, 27. Sep 21
Die tiefgründige Recherche mündet in Theaterbilder der Katastrophe.

Nicole Heesters als ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel überzeugt, indem sie die menschlichen Widersprüche der Machtpolitikerin nach außen kehrt.

Kosminski hat … eine Theatersprache gefunden, die das starre Korsett des Gerichtsdramas abschüttelt. Im besten Sinn zeigt der Intendant mit dem Klimastück Haltung. Wenn Josephine Köhler ins Mikro rockt, berührt ihre Wut. Hans Platzgumers Musik lässt die Dramatik in einen Rausch münden. Stark ist die Videokunst von Yoav Cohen. Mit einer Projektion, die den weltumspannenden Charakter des Mercedessterns untermalt, werden die Zuschauer in globale Kämpfe verstrickt.

Ludwigsburger Kreiszeitung
Arnim Bauer, 27. Sep 21
Obwohl … die unübersehbaren Folgen des Klimawandels… längst zum beherrschenden Thema geworden sind, ist es sinnvoll, dass sich auch das Theater einbringt. … Und so lässt dieses Stück unterschiedliche Ansätze, unterschiedliche Betrachtungsweisen zu Wort kommen, zeigt Mechanismen auf, zeigt Denkweisen auf ... Ob nun der Anwalt der Bundesrepublik (Sven Prietz) oder auch Angela Merkel höchstpersönlich, ob Automanager oder Umweltaktivist, man kann dieser Aufführung nicht vorwerfen, dass sie nur einseitige Meinungen zulässt.

Da ist Nicole Heesters in ihrer souveränen Art, wie sie Angela Merkel spielt, klar in den Aussagen, samt versöhnlichem Schlussplädoyer, ohne jegliche parodistische Anspielung, das sind die sehr lebendigen Figuren der Zeugen, die dafür sorgen, dass es zu weit mehr als reinem Textaufsagen kommt. Beispielhaft hier Boris Burgstaller oder Michael Stiller, die ihre Figuren mehr als markant anlegen. Da gibt es dann auch mal plötzlich einen Song von Josephine Köhler, da prasselt plötzlich ein Starkregen aus Plastikflaschen auf die Bühne nieder, es fehlt nicht an kurzweiligen Illustrationen der ernsten Worte, so dass bei allem Ernst des Themas der Abend auch gut anzuschauen ist.

Gastredner:innen

In jeder Vorstellung treten Expert:innen aus Wissenschaft, Politik, Kunst und Aktivismus auf und geben im Rahmen des Bühnengeschehens ein individuelles Statement ab.


Fr – 24. Sep 21: Yvonne Aki-Sawyerr
Do – 30. Sep 21: Adenike Titilope Oladosu
Fr – 01. Okt 21: Prof. Dr. Markus Wissen
Sa – 02. Okt 21: Adenike Titilope Oladosu
Mo – 18. Okt 21: Prof. Dr. Antje Boetius
Di – 19. und Mi – 20. Okt 21: Videoeinspielung Yvonne Aki-Sawyerr
Mo – 01. Nov 21: Videoeinspielung Chinma George
So – 21. Nov 21: Prof. Dr. Markus Rex
Do – 09. Dez 21: Prof. Dr. Remo Klinger
Fr – 10. Dez 21: Guido Wallraven
Sa – 11. Dez 21: Luisa Neubauer
Do – 06. Jan 22: Ulrike Herrmann
Sa – 12. Feb 22: Dr. Kumi Naidoo
So – 20. Feb 22: Prof. Dr. Niklas Höhne
Di – 22. Feb 22: Andres Veiel
So – 17. Apr 22: Videoeinspielung Lukas Bärfuss
Mi – 22. Jun 22: Carolin Callenius
Sa – 09. Jul 22: Jürgen Resch
Mi – 13. Jul 22: Werner Sobek
Sa – 16. Jul 22: Thilo Bode
Fr – 23. Jun 23: Michael Bloss
Sa – 24. Jun 23: Werner Sobek
Di – 04. Jul 23: Jutta Doberstein

Schlaglicht – Gesellschaftsthemen auf der Bühne

Eine Kooperation von SWR2 mit dem Schauspiel Stuttgart

Vergangene Statements

Statement von Werner Sobek
Statement von Jutta Doberstein
Statement von Werner Sobek
Statement von Thilo Bode
Statement von Michael Bloss
Statement von Jürgen Resch
Statement von Carolin Callenius
Statement von Lukas Bärfuss
Statement von Dr. Kumi Naidoo
Statement von Andres Veiel
Statement von Prof. Dr. Niklas Höhne
Statement von Yvonne Aki-Sawyerr
Statement von Adenike Titilope Oladosu
Statement von Prof. Dr. Markus Wissen
Statement von Prof. Dr. Antje Boetius
Statement von Prof. Dr. Markus Rex
Statement von Guido Wallraven
Statement von Luisa Neubauer
Statement von Ulrike Herrmann