Die Krise des jungen Törleß

nach Robert Musil
In einer Fassung von Matthias Köhler und Lennart Göbel
Nord
Dauer – ca. 1:15 Std, keine Pause
Eine Kooperation mit der HMDK Stuttgart
Premiere
Do – 23. Feb 2023
An einem Elite-Internat im niederösterreichischen Schattenland werden der junge Törleß und seine Freunde Zeugen einer unerhörten Begebenheit; der Mitschüler Basini, getrieben von den materialistischen Ansprüchen der elitären Schulgemeinschaft, beklaut seine Freunde, um den Schein des wohlhabenden Dandys wahren zu können. Kurzerhand wird der Klassenkamerad erpresst, zum willigen Untergebenen degradiert, der zu folgen, zu gehorchen hat. Die Zeugen werden zu Tätern, die ihre Macht auskosten und zu gewalttätigen Handlangern ihrer identitären Unsicherheit werden. Doch hinter der Fassade aus Misshandlung und Demütigung eröffnet sich ein lustvoll-sensibles Spiel der Adoleszenz junger Menschen auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt, von sexueller Befreiung und der moralischen Orientierung in einer brutalen Gesellschaft. Das Publikum wird zu Voyeur:innen der Irrungen und Wirrungen einer Generation, die sich nach Identität und Sicherheit sehnt.

Robert Musils (1880-1942) Debütroman von 1906 hat nicht an Aktualität eingebüßt. Die verwöhnten Jungakademiker:innen kommen ebenso bekannt daher wie das Streben nach Macht und das Ausnutzen eben dieser. Das heteronormative Familienideal wird nach wie vor sakral gepredigt. Der Voyeurismus, der geltende Drang nach Publikum, ist in unserer digital beschleunigten Zeit der sozial-medialen Archivierung, in der lieber einmal zu oft die Kamera gezückt wird, bestens aufgehoben.

Matthias Köhler begibt sich mit den Absolvent:innen der HmdK in ihrer Abschlussproduktion auf die Suche nach den Mechanismen der Gewalt, der lustvollen Entdeckung des Selbst und den Wechselwirkungen von Intellektualität, Sadismus und Ästhetizismus.
Inszenierung
Bühne und Kostüm
Licht
Michael Frank
Dramaturgie

Pressestimmen

Stuttgarter Zeitung
Thomas Morawitzky, 25. Feb 23
Die Rollen kreisen, ein jeder darf Täter, Opfer oder der Dritte sein, der das Spektakel der Erniedrigung mit ambivalenten Gefühlen betrachtet. Die Bühne: ein Raum, kreisrund und leer, ausgekleidet mit einer Tapete, deren vornehmes, konservatives Muster, etwas genauer besehen, durchsetzt ist mit erotischer Symbolik.
Ran Chai Bar-zvi schuf dieses klaustrophobische Karussell […]

Köhler nutzt Musils Vorlage, um auf der Bühne Geschlechteridentitäten, toxische Männlichkeit infrage zu stellen […]. Die Darsteller spielen mit großer Energie, liefern erschreckende Charakterskizzen.

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Ludwigsburger Kreiszeitung
Uta Reichardt, 25. Feb 23
Alle sechs (Janina Fautz, Annabel Hertweck, Anja Pichler, David Richter, Joscha Schönhaus, Furkan Yaprak) zeigen bei der Premiere eine beachtliche Bühnenpräsenz und überzeugen in ihrer wechselnden Darstellung der Hauptfigur, des jungen Internatsschülers Törleß, genauso wie in Akrobatik-, Tanz-, Fechteinlagen und recht offener Körperlichkeit.
Diese starke Bühnenpräsenz schafft beim Publikum vor allem eines: Sie stellt eine fast unerhörte Nähe zur eigenen Vergangenheit und zugleich zu den Protagonisten auf der Bühne her, zu jenen Jahren der Adoleszenz, die so prägend schrecklich und herrlich zugleich sind wie fast keine andere Lebensphase. [...]

[Törleß] wird zum „Trittbrettfahrer“, zum abgründigen Mitläufer, weil er letztlich einer gewissen Faszination erliegt, die die Macht der vermeintlich Stärkeren auf ihn ausstrahlt.
Das karg gehaltene gelbliche Bühnenbild mit Tapetenmuster an Wand und Boden kontrastiert dabei gelungen mit dem knallig-brutalen Blau von Stühlen, Trennwänden und Badewanne – allesamt Instrumente psychischer wie physischer Gewalt und sexueller Misshandlung –, und mit den Protagonisten in ihren grell-weißen Fechtanzügen. Törleß am Haken, wie er durch den Raum schwingt zwischen seinen eigenen, widersprüchlichen Schwingungen. [...]

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Online Merker
Alexander Walther, 24. Feb 23
Misshandlungen und Demütigungen sind an der Tagesordnung, manchmal blitzt auch schwarzer Humor auf. Sexuelle Befreiung kann hier inmitten einer brutalen Gesellschaft kaum gelingen. Matthias Köhler untersucht in seiner interessanten und psychologisch vielschichtigen Inszenierung durchaus die Mechanismen der Gewalt, die bald außer Kontrolle geraten. […] Die wandlungsfähigen Schauspieler Janina Fautz, Annabel Hertweck, Anja Pichler, David Richter, Joscha Schönhaus und Furkan Yaprak schlüpfen dabei immer wieder virtuos in verschiedene Rollen. […] So steigert sich die Spannung bei der Aufführung unaufhörlich. Hinter der Bühne hört man dann Basini heulen und jammern, als er von den Klassenkameraden geschlagen wird. Die früherwachte und missgeleitete Sinnlichkeit von Zöglingen wird dabei auf die Spitze getrieben, manchmal passiert alles auf engstem Raum. Sie steigert sich bis zur Grausamkeit. [...]

Viel Applaus, Begeisterung.

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