Berlin Alexanderplatz
Schauspielhaus
Ab Kl.10
Dauer – ca. 2 Std., keine Pause
Premiere
Sa – 21. Sep 24
Sa – 21. Sep 24
Anständigkeit lohne sich wohl nicht für einen mit seiner Vergangenheit, so die bittere Erkenntnis des Zement- und Transportarbeiters, Hehlers und Totschlägers Franz Biberkopf. Und so kommt es auch, dass er als Zerrissener, Verlorener und Outsider am Ende unter die Räder gerät. Vier Jahre saß er wegen Totschlags im Affekt an seiner Freundin Ida im Knast, nun ist er frei. Was soll er mit der neuen Freiheit anfangen? Wie weitermachen? Zunächst gelingt es ihm, sich mit Broterwerb über Wasser zu halten und sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Bald schon verstrickt er sich allerdings wieder in kriminelle Machenschaften und in sexuelle Abenteuer und gerät v. a. politisch zwischen die Fronten. Am Ende steht der Verlust seines Arms, seines Verstandes und seiner Freiheit. Überrollt von einem grausamen Schicksalsschlag bricht er vollends zusammen und landet in der „Irrenanstalt“ Berlin-Buch und ringt mit dem Tod und sich selbst in diesem Land. Es scheint, als sei der Mensch Franz Biberkopf verflucht, sobald er sich auf andere Menschen ein- und verlässt. Einzig auf die Ausweglosigkeit ist in seinem Fall Verlass.
Der Berliner Arzt und Schriftsteller Alfred Döblin zerrt im Herbst 1929 mit großer Bildkraft den Typus des zufälligen Mitläufers ans Licht der Welt und zeigt wie dieser Mensch auf dem Nährboden seine Zeit aufschlägt - in aller Härte und Gnadenlosigkeit.
Der Berliner Arzt und Schriftsteller Alfred Döblin zerrt im Herbst 1929 mit großer Bildkraft den Typus des zufälligen Mitläufers ans Licht der Welt und zeigt wie dieser Mensch auf dem Nährboden seine Zeit aufschlägt - in aller Härte und Gnadenlosigkeit.
Inszenierung / Bühne
Kostüme
Musik
Licht
Dramaturgie
Die Inszenierung lässt einen teilhaben an der Entstehung der Bilder, die auf die riesigen Wände projiziert werden. … Wenn sie … symbolisch sind, wie Scherenschnitte, entfalten sie eine beunruhigende Wirkung …
Obwohl Pařízeks Bühnenfassung den 450 Seiten langen Roman auf 57 Seiten und zwei Stunden zusammenschnurren lässt, hat man den Eindruck, das Wesentliche erzählt zu bekommen.
… Berlin Alexanderplatz ist ein bildstarker, in sich schlüssiger Abend, in dem fünf Schauspieler lustvoll einen sperrigen Stoff mit etlichen Figuren fast zu einem Kammerspiel destillieren.
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Sicher, die heutige Berliner Republik unterscheidet sich stark von der damaligen Weimarer. … Aber auch gegenwärtig gibt es in Europa wieder Elend und Krieg, in Deutschland eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. … In Stuttgart wird dies warnend aufgezeigt am Beispiel des Franz Biberkopf in seiner Zeit. – Langer, begeisterter Applaus.
… Pařízek tut alles, um die bescheidwissenden Deutungen des Romans – als Sozialreport, Milieustudie, Großstadtkrimi und Migranten-Biografie – zu meiden. Gut so ... Starke, berührende Szenen.
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.... Sein Blick schaut auf das Innere, das Seelenleben der gescheiterten Existenz Franz Biberkopfs in den Wirren der auf ihr Ende zusteuernden Weimarer Republik und im Vorfeld des erstarkenden National-sozialismus. Aufgesetzte Parallelismen zur heutigen Zeit werden vermieden; die Essenz von Döblins Text (dem Pařízek respektvoll folgt) und die durchweg hohe Bühnenpräsenz der fünf Handlungsträger schaffen es auch so, den Zuschauer aufzurütteln und zum Nachdenken zu bringen.
… In Stuttgart trägt genauso das exzellente fünf-köpfige Ensemble den Erfolg von Pařízeks Fassung, unterstützt durch die kluge Dramaturgie von Katja Prussas.
Ebenfalls fulminant die Leistung von Celina Rongen mit ihrer Wandlungsfähigkeit von der naiven Cilly zur frivolen Mieze, die noch im rasantesten Sprachtempo bis hin zur Atemlosigkeit textverständlich bleibt und mit Aplomp singt.
David Müller … rezitiert mit zynischer Süßlichkeit Döblins grauenvollen Bericht vom Berliner Schlachthof, der im Verbund mit Peter Faschings Bühnenmusik … wirkt. Überhaupt greift die Bühnenmusik in bester Kurt-Weill-Manier kommentierend und sinnfällig platziert in das Geschehen ein …
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… das hat alles so eine Anmutung von Bertolt Brecht, auch von Piscator-Theater, sehr karg …
Am Anfang denkt man noch, ich kann den Roman doch selber lesen. … aber dann … kommt ein Bericht vom Schlachthof und das ist ein Wendepunkt in dieser Inszenierung, weil der Schauspieler David Müller das als Performance macht ... auf einer doppelten Ebene, es ist der Kampf aller gegen alle in der Großstadt … Das Untergehen in dem kriminellen Milieu der Großstadt Berlin, das wird von allen fünf Schauspielern wirklich großartig dargestellt, … die Reduktion auf die schauspielerischen Mittel hat eine ungeheure Qualität an diesem Abend …
… Celina Rongen, die die Mieze spielt, … das ist mit sehr wenigen Requisiten so frech gespielt, einfach ganz großartig, wenn man auf einmal sieht, wie die Hauptfigur immer mehr in die Defensive gerät, immer hilfloser, immer weinerlicher wird und sich gegen die kriminellen Kräfte der Großstadt überhaupt nicht mehr wehren kann.
Das ist dann wirklich toll inszeniert, nach diesem etwas schleppenden Anfang.
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Schon zu Beginn seiner Inszenierung … gelingt es dem Regisseur Dušan David Pařízek klarzumachen, warum der Held gleich zweifach auftreten muss. Seine innere Zerrissenheit mündet in eine doppelte Gestalt. Sylvana Krappatschs Franz will immerzu etwas, und Rainer Galkes Biberkopf hat Angst, weiß aber nicht warum. …
Franz Biberkopf? Er ist hyperaktiv, nervös und macht ständig viel Wind bei Sylvana Krappatsch. Er ist wuchtig, sympathisch täppisch und politisch orientierungslos bei Rainer Galke. Ein Typus Mann, der für vieles Schlechte steht. ... Einer, der keinen moralischen Kompass besitzt und nicht wirklich weiß, was das sein soll, was er sich nach der Entlassung aus dem Gefängnis vornimmt: „Anständig sein!“.
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… [Pařízek] verzichtet, wenn man von den Sprüchen auf den T-Shirts absieht, auf eine Verlegung in die Gegenwart, die sich in Details durchaus anböte. Deutlich wird das in einem längeren Monolog des Arbeiters Willi, in dessen Rhetorik linke und rechte Klischees aufeinander treffen … und den Michael Stiller in einer Weise vorträgt, die unter die Haut geht. …
… Pařízek hat sich für zwei, einen Franz und einen Biberkopf, entschieden. … Die übrigen Rollen teilen sich mit erkennbarer Freude an der Verwandlung die Ensemblemitglieder Michael Stiller, David Müller und Celina Rongen.
Sylvana Krappatsch, wie stets unter Starkstrom, spricht mit variabler Stimme bis hin zum Falsett wie die Puppe eines Bauchredners. …
Gegen Ende verfällt Rainer Galkes Biberkopf, der inzwischen einen Arm verloren hat und der seine Mieze zu verlieren fürchtet, in einen Schreikrampf. All das Elend in fünf Sekunden. Das ist eine große Szene. Die Farbe dieser Inszenierung, in den Kostümen, dem Bühnenbild und den Projektionen ist meist, passend, grau.
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Regisseur Parízek stellt assoziationsfreudig Biberkopf, den früheren Zementarbeiter, später Möbeltransporter, analog zum Roman in den Mittelpunkt. ... Auf der Bühne erscheinen gleich zwei Personen, die die Rolle einnehmen und wie ein Zwillingspärchen agieren. …
Und noch an einem anderen Prinzip des Romans hält sich Parízek. Döblin hat, animiert vom neuen Medium, einen Roman im „Kinostil“ erdacht. Er übernahm, wie jetzt auch Parízek, die Schnelligkeit der Abläufe, den steten Wechsel und Fluss der Eindrücke. ... Gelegentlich wird es laut, aber nie leichtgewichtig, trotz eingedampfter Bühnenfassung des Romans. Parízek schafft es, die Geschichte von Biberkopf mit nur fünf Darstellern und Darstellerinnen zu erzählen, die in die verschiedensten Rollen schlüpfen.
Wie Galke und Krappatsch das mit vollem Körpereinsatz spielen, ist große Klasse. Auch Celina Rongen, David Müller und Michael Stiller, die zu dritt den Rest des Döblinschen Personals unter sich aufteilen, liefern absolut fesselnde Darstellungen …
Klaustrophobisch und karg ist das Setting mit vier grauen Betonklötzen, die zur Leinwand werden … Einfallsreich bedient die Licht- und Ton-Regie mit wenigen Mitteln die Illusionsmaschine Theater.
Pařízek belässt die Geschichte prinzipiell in ihrer Zeit. Dennoch ist klar, dass er von heute auf die Weimarer Republik schaut. … Diese Inszenierung nimmt die Abgehängten und Mitläufer in den Blick und zwingt uns, genau hinzuschauen.
… Die Regie spaltet Franz Biberkopf, den Anti-Helden, in zwei Figuren: … Galke ist Franz, der triebgesteuerte Loser, aus dem Gefängnis entlassen, wo er seine Haftstrafe wegen Totschlags seiner Geliebten verbüßt und sich geschworen hat, „anständig“ zu sein und „ehrlich“ zu bleiben. Krappatsch ist Biberkopf, seine widerständige Hälfte, die es auf jeden Fall wieder nach oben schaffen will – die unterschiedlichen T-Shirt-Slogans markieren die Positionen deutlich: „Shit happens“ versus „That’s why we get high“.
Es wird gebrüllt und geflüstert, räsoniert und gesungen … Am Ende steht die Erkenntnis: „Wach sein – es geht was vor in der Welt.“
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Richtig Fahrt nimmt die Inszenierung mit einem Monolog von David Müller auf. Er schildert als Reinhold mit einer distanzierten Eiseskälte das gnadenlose Handeln in einem Schlachthof, dass man fröstelt. …
… Nicht nur Stiller spielt fantastisch; das gilt neben Sylvana Krappatsch ebenso für Rainer Galke, der vom Burgtheater Wien nach Stuttgart gekommen ist, für David Müller und Celina Rongen in verschiedenen Rollen. Insofern ist diese Inszenierung auch ganz großes Schauspieltheater.
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… Neben Sylvana Krappatsch und Rainer Galke als wandlungsfähiger Biberkopf fesseln die weiteren Darsteller David Müller und Michael Stiller und vor allem die grandiose Celina Rongen als Sonja und Mieze. … Die bedrückende Angst vor der Gegenwart beherrscht dabei alle Darsteller. Das Scheitern der Resozialisierung steht grell im Mittelpunkt. Biberkopf wird tatsächlich zum zufälligen Mitläufer, der sich nicht zu helfen weiß. Das Romanende lässt Fragen offen – und so ist es auch bei dieser insgesamt gelungenen Inszenierung.
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