Der Be­such der alt­en Da­me

von Friedrich Dürrenmatt
mit einem Text von Peter Michalzik
Schauspielhaus
Dauer – ca. 1:30 Std, keine Pause
in deutscher und hebräischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln
Premiere
Sa – 26. Sep 20

Welchen Preis hat Gerechtigkeit? Nach zwanzig Jahren kehrt die Milliardärin Claire Zachanassian nach Güllingen zurück. Die Kleinstadt ist hoch verschuldet, verarmt und steht kurz vor dem Ruin. Zachanassian verspricht der Gemeinde neuen Wohlstand. Allerdings ist ihre finanzielle Hilfe an eine Bedingung geknüpft: Die Bewohner von Güllingen bekommen das Geld nur, wenn sie Alfred Ill, Zachanassians früheren Geliebten und Vater ihres Kindes, töten. Dieser hatte damals die Vaterschaft geleugnet, zwei falsche Zeugen bestochen, sie zur Hure degradiert und aus Güllingen verjagt. Jetzt will sie nur eins: Gerechtigkeit. Viel Zeit ist seitdem vergangen. Das gefallene Mädchen inzwischen die reichste Frau der Welt nimmt nicht nur Rache an Ill, sondern sie offenbart auch die Verführbarkeit, Gier und Korruption der Bewohner von Güllingen. Sie alle machen sich schuldig und werden zu Tätern, Mitläufern und Kollaborateuren. Dürrenmatts Parabel hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Der Spezialist für schlimmstmögliche Wendungen kostet auch diese aus: die totale und willkürliche Herrschaft des Kapitals über ethische Normen. Dürrenmatt deckt die Mechanismen und Machtverhältnisse einer Gesellschaft zwischen Schuld und Verantwortung, Gemeinwohl und Moral schonungslos auf.
Der Besuch der alten Dame zählt zu den erfolgreichsten und beliebtesten Stücken von Friedrich Dürrenmatt (1921–1990). Die Uraufführung von 1956 am Schauspielhaus Zürich machte ihn weltbekannt. Das Stück wird in dieser Inszenierung um eine weitere Dimension erweitert – der Biografie von Evgenia Dodina, die Claire Zachanassian spielt und die ein Spannungsfeld aufmacht zwischen Güllingen und der Welt.

Premiere: Sa – 26. Sep 20
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Übertitel
Anna Kasten
Dramaturgie

Pressestimmen

Stuttgarter Zeitung
Nicole Golombek, 28. Sep 20
grandiose[] Hauptdarstellerin Evgenia Dodina

Der Regisseur [Kosminski] bricht die Geschichte der Rächerin auf, um dies zu zeigen: Ja, man kann Claire Zachanassians Wunsch verstehen, Vergeltung zu üben, aber es gibt andere Wege, um seinen Feinden entgegenzutreten. Sich nicht vertreiben lassen, Kunst machen. Hauptdarstellerin und prominentes neues Ensemblemitglied Evgenia Dodina – mit ihrem kraftvollen Spiel in Mouawads „Vögel“ 2018 im Schauspielhaus in bester Erinnerung geblieben – tritt also nicht nur als Claire Zachanassian auf, sondern auch als sie selbst.… Die Regie erhofft sich womöglich, dass durch diesen Kurzschluss zweier Geschichten aufregende Funken sprühen. Das gelingt auch.

… der Monolog [von Evgenia Dodina] [gerät], packend, lebendig, anrührend. … [man] möchte lieber noch mehr erfahren von der charismatischen Schauspielerin.

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Südwest Presse
Otto Paul Burkhardt, 28. Sep 20
Wie die Bürger sich von Zachanassians Milliarden kaufen lassen, um deren Ex-Lover Ill zu töten, das schildert Kosminski kühl und abstrahiert auf einem leeren Spielfeld. … Lehrstück über korrupte Moral oder Kapitalismus-Satire? Das lässt die kluge Regie offen.

Grandios Evgenia Dodina: Sie spielt Zachanassian (deutsch, teils hebräisch) als verletzte Seele, fragil und rachsüchtig, trauernd wie unerbittlich. Ihre eigene Familiengeschichte aber erzählt Dodina in Ivrit, ruhig, undramatisch – und gerade deshalb bewegend.

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New York Times
A.J. Goldmann, 09. Dez 21
„The Visit,“ one of the few postwar German-language plays to achieve international success, has had many lives since its 1956 premiere in Zurich. … Yet the Stuttgart production, by the theater’s artistic director, Burkhard C. Kosminski, is perhaps the most unusual of all these incarnations.

I found the great female performance that had eluded me at the Schaubühne in southern Germany, in an unusual production of Friedrich Dürrenmatt’s „The Visit“ that stars the Belarusian Israeli actress Evgenia Dodina, a recently minted ensemble member at the Schauspiel Stuttgart. … Dodina is mesmerizing as the play’s avenging fury, as well as in her personal monologues … Dodina’s committed and captivating portrayal.

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SWR 2
Daniel Stender, 28. Sep 20
Eine großartige Inszenierung mit [der überragenden] Evgenia Dodina in der Hauptrolle, die außerdem auf Hebräisch die Geschichte ihrer jüdischen Familie erzählt. Das Leben erscheint hier weitaus komplexer als Dürrenmatts juristische Knobelei um ein unmoralisches Angebot.

Kosminskis großartige Inszenierung verwandelt diesen Klassiker der Schullektüre in ein aktuelles, ein relevantes und mutiges Stück. Es mag eine alte Idee sein, aber gegen antisemitische Vorurteile leistet das Treffen von Zeitzeugen, leistet die Erzählung einer konkreten Person die beste Aufklärung.

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Deutschlandfunk Kultur
Cornelie Ueding, 28. Sep 20
Regisseur Kosminski riskiert viel. … Diese beiden Geschichten [von Claire Zachanassian und Evgenia Dodina] passen, so unterschiedlich sie sind, auf frappierende Weise doch zusammen. ... Ich will Gerechtigkeit, also Rache, sagt die eine. Rache interessiert mich nicht, die andere. ... Eine vertrackte und gezielt irritierende Spiegelungsgeschichte, die den Weg zu einer neuen Sicht auf Claire Zachanassian öffnet, ohne deren radikal zynische, menschenverachtende Züge zu unterschlagen.

Wichtiger und interessanter als diese Ausbrüche sind nun jene Momente, in denen die eine Claire mit einem Schlenker zur anderen wird. ... Über den Umweg der Geschichte der Evgenia Dodina … wird aus dem unglücklichen Schicksal einer Einzelnen auch das unverzeihliche und nicht mehr wiedergutzumachende Unrecht [dem jüdischen] Volk gegenüber. … Durch die sehr starke Fokussierung auf die Lebensgeschichte der Mütter … erfährt die Tragikomödie ein Mehr an politischer und emotionaler Brisanz.

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Ludwigsburger Kreiszeitung
Arnim Bauer, 28. Sep 20
Mit dürren Monologen zeichnet der Regisseur Dürrenmatts Geschichte nach, lässt alles Beiwerk beiseite und schafft so einen fast schmerzlichen Fokus auf die kleinbürgerliche Unmoral der Bürger, aber auch auf die unbedingte zynische Rachsucht der Milliardärin. Großartig dabei die beiden Hauptfiguren Zachanssian und Ill, die von zwei nahezu perfekten Darstellern präsentiert werden: Hier die israelische Schauspielerin Evgenia Dodina, dort Matthias Leja, der sich immer mehr als Spezialist für die großen dramatischen Rollen in Kosminskis Ensemble profiliert. Mit diesen beiden funktioniert das Konzept hervorragend, weil sie jeder auf seine Art mit dieser eher sparsamen, dürren Art der Darstellung, die sich auf ruhige aber präzise Sequenzen stützt, in großartiger Manier umzugehen wissen.

Und damit erschließt sich auch der Sinn dieser ungewöhnlichen Inszenierung mit dem starken persönlichen Auftritt der seit dieser Spielzeit fest zum Stuttgarter Ensemble zählenden jüdischen Schauspielerin. Und es ist nachvollziehbar, dass Kosminski für diesen ungewöhnlichen und starken Auftritt sogar von dem unter seiner Intendanz besonders hoch gehaltenen Prinzip des Ensemblegedankens, der weniger auf Stars denn auf ein homogenes Gesamtbild setzt, stark abweicht und seiner Hauptdarstellerin so viel persönlichen Raum einräumt. Ein riskantes Konzept, das aber im Sinne eines Plädoyers für Toleranz, Nachsicht und Humanität aufgeht.

Die deutsche Bühne
Manfred Jahnke, 27. Sep 20
Die Israelin Evgenia Dodina, seit dieser Spielzeit festes Mitglied im Stuttgarter Ensemble, spielt diese Claire mit großer Präsenz und Vitalität aus. Mit roten Haaren, mit rauer Stimme spielt sie Katz und Maus mit dieser Gesellschaft, dabei immer freundlich distanziert. ... Dodina macht das grandios. Aber auch Matthias Leja spielt eindrücklich einen III, der zunächst gönnerisch auftritt, dann von Angst getrieben sich zurückzieht.

Wie überhaupt die Regie große Bilder ausstellt: angefangen von den aus dem Schnürboden herabrieselnden Banknoten bis hin zu eindringlichen szenischen Arrangements, die meist frontal auf das Publikum (die große Menge der Güllinger) ausgerichtet sind. Kosminski nutzt dabei die den Hygieneregeln geschuldete Distanz zwischen den Spielern als dramatisches Element, wenn Spannung über die ganze Bühne gehalten werden muss.

Ein schauspielerisches Credo der Dodina ist, sie möchte die Menschen durch ihre Schauspielkunst berühren. Das ist ihr, den anderen Mitwirkenden und dem inszenatorischen Setting wahrhaft gelungen.

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neues deutschland
Mesut Bayraktar, 29. Sep 20
Entgegen der landläufigen Abfertigung hat Kosminski ein zum Nachdenken anregendes Wagnis auf die Bühne gebracht. Er hat die schweizerische Provinzialität des Stücks mit einem Text von Peter Michalzik in deutscher und hebräischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln kosmopolitisiert – nämlich mit der Biografie von Evgenia Dodina, die Claire Zachanassian, die alte Dame, spielt. So verschob sich der Fokus vom verhängnisvollen Gerechtigkeitsproblem hin zur Inspektion des Rachegefühls in der Seele des Einzelnen.

In den Monologen wird Dodina Schausein ihrer selbst. … Schließlich bewegt sie sich mit ergreifender Souveränität, spielt Klavier und singt rüpelig ein Lied … Es ist ein Genuss, ihre enigmatischen, wüsten Gesten zu studieren, die wie ein Skalpell den falschen Konsens der Stadt auflösen.
Dem Charisma Dodinas steht Matthias Leja als insolventer Kaufmann in nichts nach. Das Zittern der Angst schlägt sich in Lejas Gesicht mit fortschreitender Ahnung des Todesurteils nieder. ... Hervorzuheben ist auch Marco Massafra als Lehrer. Seine schroffe Lebendigkeit kehrt die Predigt vom „Hunger des Geistes“, der Freiheit bescheren soll, in das Scheitern bürgerlicher Freiheitsideale der Aufklärung um.

Kosminski erweist sich als Ingenieur der Gefühle. Nach der Liebe in die „Vögel“, der Eifersucht in „Othello“ hat er nun die Rache unter das Brennglas des Theaters gelegt.

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Schwäbische Zeitung
Adrienne Braun, 28. Sep 20
[Claire Zachanassian] ist keine alte Dame, sondern eine attraktive, selbstbewusste Frau in den besten Jahren. Die Haare feurig rot, der Schritt in den dicken, schwarzen Schuhe so energisch, dass unmissverständlich klar ist: Dieser Frau gehört die Welt! … Evgenia Dodina spielt die Claire – und steigt mitten im Spiel aus der Rolle aus. Sie wolle sich dem Publikum vorstellen, erklärt sie, eine Jüdin aus Weißrussland, die nach Israel ausgewandert ist und von Kosminski nach Stuttgart geholt wurde. Immer wieder unterbricht Dodina an diesem Abend die Handlung, um vom Schicksal ihrer eigenen Familie zu erzählen, von der Großmutter, die im Zweiten Weltkrieg auf der Flucht verhungert ist. Sie stellt die Frage, ob Rache ein Mittel sein kann zur Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Diese weitere Dimension bekommt Dürrenmatts Stück gut, dessen Ausgang ja doch recht vorhersehbar ist.

Zu Unrecht rückt dadurch das übrige Ensemble in den Hintergrund … Dabei spielt gerade auch Felix Strobel den Polizisten so grandios selbstgerecht, dass es einen schaudert.

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Südkurier
Johannes Bruggaier, 30. Sep 20
Wie Evgenia Dodina diese doppelte Identität auf die Bühne bringt, ist bemerkenswert: als sei die Wut in Dürrenmatts Figur ein logisches Gegenstück zur Demut ihrer eigenen Erziehung. Sven Prietz und Felix Strobel geben als Bürgermeister und Dorfpolizist wunderbar provinzielle Knallchargen ab.
Mannheimer Morgen
Dieter Schnabel, 10. Okt 20
[Evgenia Dodinas] Lebensgeschichte und Auszüge aus der Biografie ihrer Familie, das war der Text von Peter Michalzik, den sie in hebräischer Sprache vortrug und der in deutscher Übersetzung zuweilen auf eine eigens dafür vorgesehene Zwischenwand im Bühnenbild von Florian Etti projiziert wurde. Das ist hoch interessant, berührt einen darüber hinaus und regt zum Nachdenken an. … Kraft ihrer Persönlichkeit und ihrer nuancenreichen Ausdrucksmöglichkeiten gewinnt Evgenia Dodina nicht nur als Claire Zachanassian Profil. Wandlungsfähig zeigt sich Mathias Leja als Ill, der am Ende sein eigenes Grab ausheben muss, in dem ihn die anderen noch steinigen.
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ostalb.net
Wolfgang Nußbaumer, 30. Sep 20
Wie der Stuttgarter Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski in seiner Regie von Friedrich Dürrenmatts Klassiker „Der Besuch der alten Dame“ das Persönliche mit dem Allgemeinen verbindet und dabei immer ganz individuell bleibt, ist schlichtweg kongenial. Kongenial deshalb, weil er mit seinen Protagonisten und dem Bühnenbildner Florian Etti Partner hat, die auf der Höhe seiner Idee mitspielen. Allein schon wie Evgenia Dodina mit lapidarer Ironie die Geschichte ihrer jüdischen Familie erzählt lohnt den Besuch.

Matthias Leja gibt [Alfred Ills] Wandlungsprozess vom selbstgefälligen Händler zum einsichtigen Sünder fesselnde Gestalt.

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Trailer "Der Besuch der alten Dame"