Waste! (UA)

von Gianina Cărbunariu
Aus dem Rumänischen von Fabiola Eidloth
Kammertheater
Dauer – ca. 1 Std. 40 Min., keine Pause.
Uraufführung
Do – 17. Mär 22
Die Mülltrennung – eigentlich eine vernünftige Sache, von manchen Zeitgenoss:innen wird sie gar mit pseudoreligiösem Eifer betrieben. Umso verstörender, dass Teile dieses sorgsam sortierten Abfalls auf höchst umweltschädliche Weise entsorgt werden. Etwa fünfzig Prozent der Plastikabfälle der gelben Tonne wird gar nicht recycelt, sondern verbrannt, zum Beispiel in Zementwerken. Gerne auch im Ausland, wo man es mit den Umweltbestimmungen nicht so genau nimmt.
In Rumänien etwa werden auch gefährliche Substanzen verarbeitet, für die keine Recyclinglösungen existieren, mit dramatischen Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung. Am globalen Business wird gut verdient, mafiöse Strukturen entstehen, Müll scheint das neue Gold zu sein.
Ist das vielbeschworene europäische Projekt wirklich eine Wertegemeinschaft oder dominieren knallharte Wirtschaftsinteressen? Benutzen wir das Wirtschaftsgefälle innerhalb der EU, um einerseits ökologische Probleme auf Kosten anderer zu lösen und andererseits billige Arbeitskräfte zu rekrutieren? Und wie ist es eigentlich um die globale Solidarität bestellt?
Die rumänische Autorin und Regisseurin Gianina Cărbunariu hat sich auf dokumentarische Theaterformen spezialisiert. Basierend auf ausführlichen Recherchen entwickelt sie fiktive Szenerien, die zu höchst eigenwilligen, energetischen Theaterarbeiten werden. Konkrete Themen sind für Cărbunariu immer Ausgangspunkt für grundsätzliche Befragungen der Gegenwart, die sie mit theatralischen Mitteln aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
Inszenierung
Bühne & Kostüme
Choreographische Beratung

Pressestimmen

Die deutsche Bühne
Manfred Jahnke, 18. Mär 22
Lustvolles Ensemble

Cărbunariu entwickelt in ihrer Inszenierung zu den Kompositionen von Emilian Gatsov ein hohes Tempo, das die Neigung steigert, den Szenen einen absurden Kick zu geben. Die Dialoge sind witzig und spritzig. … Der Dialog ist voller Pointen und so aberwitzig, wie er auch in der Realität stattfindet. Nein, die Autorin verurteilt nicht, sie führt vor, was in ihrem Heimatland vor sich geht.

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Heilbronner Stimme
Christoph Feil, 12. Jul 22
Gianina Cărbunariu und das Ensemble packen das Thema derart bunt, verspielt und überdreht an, dass es – bei allem Ernst, der dahintersteckt – ein großer Spaß ist.

Elias Krischke [übernimmt], … wie die anderen, ebenfalls glänzend aufgelegten Darsteller gleich mehrere Rollen im Stück…

Der großartige Sebastian Röhrle verleiht [dem Conférencier-Pfau] wie Christoph Maria Herbst einst seinem Bernd Stromberg eine Arroganz, mit der sich unliebsame Einwände von Kritikern bestenfalls weglächeln, schlimmstenfalls abbügeln lassen. … Jannik Mühlenweg als vielleicht etwas zu reizbarer Generaldirektor der Fabrik betreibt astreines Greenwashing, wenn er die Magie der Verwandlung von Müll in ökologischen Zement beschwört, flugs hundert Bäume pflanzen lässt und einen Schülerpreis auslobt. Herrlich auf die Spitze getrieben wird diese Verlogenheit nur noch von seinem PR-Pfau Valentin, der zu den nur allzu verbreiteten, schönfärberischen Unternehmens-Floskeln ein Tänzchen wagt. Und als Elias Krischke mit fisteliger Stimme Franz Schuberts „Forelle“ trällert, gibt es Szenenapplaus.

„Waste!“ bietet gut 90 Minuten kluge Unterhaltung, die bei aller scharfen Ironie und ätzenden Komik wütend macht auf derlei kriminelle Machenschaften und nachdenklich stimmt, was das eigene Verhältnis zu Müll betrifft.

Ludwigsburger Kreiszeitung
Arnim Bauer, 19. Mär 22
Es erweist sich als richtig, den Weg der Fabel weiter zu gehen, das ist ein seit jeher bewährtes Rezept, und Cărbunariu schafft es, diese Art und Weise der indirekten Kritik an den herrschenden Zuständen auch auf die Bühne zu zaubern. So steht jedes Tier für eine bestimmte Haltung zu den Problemen, deren Vielschichtigkeit so erst richtig plastisch werden kann. Man mag einwerfen, dass es sich auch um eine reichlich naiv wirkende Darstellungsweise handelt, aber durch die Animalisierung entstehen klare Bilder, profilierte Figuren und es kommt neben der nun sehr lebendigen, sehr persönlich wirkenden Darstellung auch zu kleinen Höhepunkten. Etwa wenn der mit faschistoiden Ansichten kokettierende Bär Partei ergreift oder wenn Elias Krischke Schuberts „Die Forelle“ in einer eigenwilligen, schrillen und treffenden Weise intoniert.

Am Ende erweist sich der Weg, den Cărbunariu mit ihrem Stück gegangen ist, das Dokumentar-Märchen, das sie aus dem engagierten Gesellschafts- und Umweltstück gemacht hat, als der richtige Weg, Klarheit zu schaffen und doch nicht mit dröger Langeweile die Wirkung gleich wieder zu zerstören.

Theater heute
Verena Großkreutz, Jun 22
Gianina Carbunariu … hat engagiert recherchiert: Dass viel von dem Unrat, den wir – nicht ganz ohne Druck von außen – sorgsam sammeln, sortieren, falten, wegtragen, … im Ausland [landet]. Und zwar dort, wo die Entsorgung billig ist, bei den Armen. In Rumänien zum Beispiel. Da kostet die Vernichtung von einer Tonne unseres Drecks nämlich nicht 250 bis 400 Euro wie hierzulande, sondern nur 15 bis 20 Euro. Ja, „Waste!“ schockiert zunächst, und zwar in seiner Aufklärung darüber, wozu ein großer Teil unseres Mülls in Rumänien dient: Als Ersatz für Kohle oder Öl, getarnt als „Öko“-Brennstoff, heizt er dort zum Beispiel deutsche (!) Zementwerke, etwa drei Ableger von einem der größten Baustoffunternehmen der Welt namens Heidelberg Cement, das auf seiner Webseite für nachhaltigen Öko-Beton wirbt. Zynisch.

Es [gibt] eine Szene, die dafür sorgt, dass der ganze Abend in Erinnerung bleibt. Nämlich wenn Elias Krischke im Perlhuhn-Outfit eine groteske Version der Schubert-Forelle singt – während sich der besagte aufmüpfige Fisch an sein Bein klammert. In schreiend-verzweifeltem Falsett gesungen, das huhngemäß in Krächzen mündet, hat diese Nummer etwas Anrührendes, gleichzeitig Anarchisches. Ein Gänsehaut-Moment, wie er nur im Theater erlebt werden kann: ambivalent, schaurig und irgendwie schön.

Die Rheinpfalz
Jürgen Berger, 25. Mär 22
Der Abend entwickelt sich dann aber doch in Richtung eines absurden Märchens mit sprechenden Tieren und einem großen Vogel, der sein imposantes Balzrad in allen Regenbogenfarben auffächern kann. Sebastian Röhrle spielt den Pfau des Stücks, als zensiere der Pressesprecher eines Zementwerkes all diejenigen, die etwas gegen seinen Arbeitgeber vorbringen könnten. Mal ist er alarmiert, dann wieder dezent zynisch, vor allem aber immer auf die Wahrung des schönen Scheins bedacht.

Gegen Ende tritt sogar Europas größter Bär auf. Er lebt in den Karpaten und könnte ein mächtiger Umweltschützer sein, läge ihm nicht nur die eigene Heimat am Herzen und hätte er nicht Vorbilder wie „die rumänischen Faschisten der Zwischenkriegszeit, die PiS-Partei aus Polen, Viktor Orban oder Donald Trump“. Gemeint sind Rumäniens Rechtsradikale, die alles aus dem Weg schaffen wollen, was sich außerhalb ihres engen Blickwinkels bewegt. Einmal mehr wird klar, dass Gianina Cărbunariu das große Ganze im Blick hat und sich nicht scheut, scheinbar Unvereinbares wie dokumentarische Inhalte und märchenhafte Ornamente zusammen zu packen …

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Esslinger Zeitung
Elisabeth Maier, 19. Mär 22
[Cărbunariu] lenkt den Blick auf die Gefahr, die langfristig ebenso Existenzen bedroht: die Klimakatastrophe. Dass die rumänische Theaterfrau, die als Europäerin denkt, da auch Parallelen zu den Rissen in der Gesellschaft zieht, macht den Reiz von „WASTE!“ aus.

Feinfühlig lässt sich Sebastian Röhrle, in Strumpfhosen und mit blinkendem Rad, auf die schwierige Rolle des gefiederten Vermittlers ein. Die Plattitüden, die er von sich gibt, verleihen dem Endzeit-Thema Leichtigkeit. … So gibt es Rollen, die Ungerechtigkeit aufdecken könnten, und die dem Rotstift zum Opfer fallen: der Zollbeamte, der Polizist und der Staatsanwalt. Der junge Elias Krischke verkörpert sie klar und kantig. … Spielerisch streut die Regie das Sterben der Fische ein: Boris Burgstaller macht als verendende Forelle eine großartige Figur. Schließlich stört gar ein Raubtier das muntere Forellen-Quintett. Als [Jannik] Mühlenweg im Kostüm des Bären die Bühne betritt, stockt manchen der Atem. Daraus die russische Allegorie zu lesen, liegt nah. Und der Schein trügt nicht: Das Tier steht für die rechtsradikalen Tendenzen in Europa und schlägt auf der Bühne wild um sich. Damit hat das Öko-Spektakel seinen Höhepunkt erreicht.

Online Merker
Aelxander Walther, 19. Mär 22
Satirischer Spielwitz und Ironie sind eindeutig die Stärken dieser Aufführung
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