Amerika
Schauspielhaus
Ab Klasse 9
Dauer – ca. 2 Std., keine Pause
Premiere
Sa – 18. Mai 24
Sa – 18. Mai 24
Kafkas unvollendet gebliebener Roman, der auch den Titel Der Verschollene trägt, beginnt mit einer Verheißung: „Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht.“ In New York wird Karl von einem reichen Onkel aufgenommen und später unter fadenscheiniger Begründung verstoßen. Auf der Suche nach Arbeit begegnet er zwei Landstreichern, die ihn ausnutzen, findet unter der Obhut der Oberköchin des Hotel Occidental einen Job als Liftboy und landet als Diener bei der ehemaligen Sängerin Brunelda. Schließlich bekommt er eine Anstellung als Techniker beim Naturtheater von Oklahoma.
Amerika ist eine Auswanderergeschichte und zugleich ein Anti-Bildungsroman: Jemand sucht in der Neuen Welt sein Glück und wird ein Niemand. In aberwitzigen Abenteuern schildert Kafka den sozialen Abstieg seines Helden und seziert humorvoll und sarkastisch den amerikanischen Traum. Er erzählt von Fremdsein und Weltverlust und von der existenziellen Suche eines Heimatlosen in der modernen Welt.
Amerika ist eine Auswanderergeschichte und zugleich ein Anti-Bildungsroman: Jemand sucht in der Neuen Welt sein Glück und wird ein Niemand. In aberwitzigen Abenteuern schildert Kafka den sozialen Abstieg seines Helden und seziert humorvoll und sarkastisch den amerikanischen Traum. Er erzählt von Fremdsein und Weltverlust und von der existenziellen Suche eines Heimatlosen in der modernen Welt.
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Musik
Licht
Mediengestaltung
Bors Ujvári
Dramaturgie
Nun ließe sich einwenden, ein absurd-unheimliches Timbre sei erwartbar für eine Kafka-Inszenierung. Und doch bleibt es hohe Kunst, Kafkas ganz eigene Textschwingungen über den nach Amerika verstoßenen jungen, naiv-bemühten Karl, der dort statt des „American Dream“ einen realen Alptraum … durchlebt, auf die Bühne zu transponieren – ohne entweder allzu brav nachzuerzählen oder das Trashige zu überstrapazieren.
Viktor Bodó und dem Ensemble gelingt dieser Balanceakt aber mit mehreren Kniffen …
… auch das Darsteller-Ensemble … überzeugt mit quirliger Spielfreude, Ausdrucksstärke und Wandlungsfähigkeit.
Wer glaubt, nach zwei Stunden sei denn alles ausgespielt, hat die Rechnung freilich ohne ein atemberaubendes Abschluss-Spektakel gemacht, von dem sich mutmaßlich behaupten lässt: Franz Kafka hätte es gefallen – so wie dem Publikum, das sich mit minutenlangem Beifall bedankt.
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Aberwitzig und mächtig schrill überzeichnet die Regie, scheut keine Slapsticks und schafft dabei doch bildstarke, im besten Sinne kafkaeske Tableaux wie Filmstills, die an Wes Andersons Kino erinnern. Videoeinspielungen transportieren das Phänomen Moloch New York und den Rausch der Geschwindigkeit. Dazwischen irrlichtert David Müller wie Charlie Chaplins Tramp durch den Abend, umzingelt von Zerrbildern fieser Kapitalisten in Fatsuits, obrigkeitshöriger Angestellter und einer geilen, peitschenschwingenden höheren Tochter … Eine Horrorstory, bei der die Schauspieler lustvoll in wechselnde Rollen schlüpfen.
… Frenetischer Applaus für einen so komischen wie gespenstischen Abend.
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Alles in allem: eine der besten Romanadaptionen seit langer Zeit. Gut, das Labyrinthhafte, Ausweglose in Kafkas Prosa kommt zu kurz. Dafür setzt Bodó auf opulentes Theater, auf unterschätzte Komik-Anteile, ohne das Dunkel-Tragische zu verraten. Amerika wird so zur Kintopp-Groteske, poetisch, surreal, teils in Beckett-Manier. Auf jeden Fall: ideenreich.
Die schwierigste Herausforderung des Romans meistert [die Inszenierung] elegant. … Bodó betont … das offene, auszuarbeitende Ende von Amerika und schafft die Klammer zur Biografie Kafkas und dessen Emigrations-Sehnsucht. Letzteres ist im Kafka-Mania-Jahr 2024 ein cleverer Schachzug.
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… die Folie des Kafkaschen Erfahrungshorizontes – fleißige Arbeit, engstirnige Umgebung – verlässt Karl Roßmann auch in der Fremde nicht.
Er selbst, David Müller, bleibt im Buhei und zwischen all den teils heftigen Karikaturen ein freundlicher junger Mann, arglos und gutmütig, geradezu strahlend. …
Das Ensemble behält einen Abstand zum Text. Er wird nicht interpretiert im engeren Sinne, aber es wird hübsch deutlich, dass seine Tollheiten, strukturellen Härten … und alptraumhaften Seiten eine Matrix sind, durch die hindurch immer wieder Franz K. selbst sichtbar ist. Und, das erlaubt sich das Theater zu Recht, auch das Theater.
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… Die Videos [von Bors Ujvári und Nur Mohammed] sind klug eingesetzt, wie auch die atmosphärische Musik von Klaus von Heydenaber, die wie im Film im Hintergrund läuft und sich doch ins Ohr einschmeichelt. …
Viktor Bodó setzt auf starke atmosphärische Bilder, die filmisch konzipiert sind. … Ebenso beherrscht er die Kunst der Tempi: Was eben noch mit einer enervierenden Langsamkeit begann, nimmt blitzschnell Tempo auf. Immer wieder werden Stopps eingebaut, wenn der Erzähler (Simon Löcker) mit Originaltexten von Kafka auftritt. Über dem Ganzen schwebt Selbstironie, wenn es in der Aufführung einmal heißt: „wir vermischen poetischen Realismus und absurdes Theater in Ermangelung von etwas Besseren“. Mit einem starken Ensemble … schafft Bodó einen bildkräftigen Abend zwischen Unterhaltung, Groteske und sozialer Erzählung.
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Was das ist? Ein Verwirrspiel der Regie. Ein intertextueller kafkaesker Hinweis darauf, dass Karl ein ähnliches Ende droht wie Josef K. Auch in einer anderen Causa sorgt Bodó, dem sein Durchbruch als Regisseur mit einer Adaption des Prozess gelang, für verwirrende Klarheit.
Amerika auf der Bühne hat Züge eines Stationen-Dramas. … Um einen überzeugenden Spannungsbogen zu schaffen, entwickelt er [Bodó] – mit Zita Schnábel, Bühne; Dóra Pattantyus, Kostüme; Klaus von Heyden-aber, Musik; Jörg Schuchardt, Licht – ein regelrechtes Ideengewitter. ...
Kafkas Prosa auf der Bühne ist heikel, der Sprache, aber auch der Inhalte der Texte wegen, die bisweilen in eine scheinbare Irre führen.
Bodó besetzt seine theatralische Nummernrevue mit zehn Schauspielern, die in 32 Rollen schlüpfen. Das ist auch eine logistische Meisterleistung. David Müller steht immer im Brennpunkt, das heißt zwei Stunden Dauerpräsenz auf der Bühne. Müller gibt Roßmann als liebens-würdigen, aber auch hilflosen, wenig lernfähigen Jüngling. ...
Regisseur Viktor Bodó und sein Dramaturgenpaar Anna Veress und Ingoh Brux wiederum sehen … im Text einen Künstlerroman. …
Zunächst aber tritt das Ensemble in uniformierter Bürokluft anno dunnemals auf. Die Regie reichert den Text mit … auf die Verwandlung anspielenden Prolog an, in dem die streng durchgetaktete Angestellten-welt den Kontrast zum finalen freien Künstlerdasein bildet. Samt Geräusch eines umherfliegenden Ungeziefers (Gregor Samsa?), das die Souffleuse durch einen energischen Schlag mit dem Textbuch erlegt. …
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… Von seinem erfolgreichen und wohlhabenden New Yorker Onkel (Michael Stiller spielt ihn schön abgefeimt) wird er verstoßen .... Die Halunken Robinson (Peer Oscar Musinowski) und Delamarche (Marco Massafra) checken sofort, dass man den Naivling ausnehmen kann wie eine Weihnachtsgans. Und die ominös laszive Sängerin Brunelda (Therese Dörr sorgt als Königin der Nacht mit kurzen Koloraturen für prickelnde Hallo-Wach-Momente) sieht in Karl nur den nächsten Lakaien in ihrem Jungmänner-Harem. David Müller gibt Karl die wundersame Parzival-Anmutung eines Menschen, der sich leichtfüßig durch eine fremde, bösartige Welt bewegt, aber nie wirklich in Lebensgefahr gerät. …
Bodó hat ein Händchen dafür, Figuren entstehen zu lassen, ohne dass er das Klischee einer düsteren Verlorenheit à la Kafka bedient. Roßmanns transatlantisches Abenteuer hat in Stuttgart etwas wohltuend Beschwingtes und folgt in diesem Punkt Max Brod, dass Kafka diesen Roman „hoffnungsfreudiger und lichter“ genannt habe als alles, was er ansonsten geschrieben habe. ...
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