Woyzeck

von Georg Büchner
Schauspielhaus
Ab Klasse 10
Dauer – ca. 1:10 Std, keine Pause
Premiere
Fr – 24. Jan 20
Mit Woyzeck schrieb Georg Büchner mit gerade mal 23 Jahren einen dunklen, poetischen, bildgewaltigen und zutiefst berührenden Bühnentext, basierend auf realen, von Büchner genau recherchierten Fällen. Woyzeck ist der einfache Soldat, die naive Kreatur, die sich für ein paar Groschen zum Versuchsobjekt der Wissenschaft hergibt und seinen Körper für medizinische Experimente verkauft – bis so gut wie nichts mehr von ihm übrigbleibt, ihm jegliches Menschsein ausgetrieben wird. Im Existenzkampf gegen diese skrupellose und verkommene Gesellschaft, der jegliche Moral abhandengekommen ist, hat Woyzeck nie eine Chance gehabt und der eigenen Zerstörung nichts mehr entgegenzusetzen. Als seine Geliebte, Marie, dem tanzenden Tambourmajor verfällt und das Dunkel um sich greift, gibt es für Woyzeck kein Halten mehr. Der schwindelnde Abgrund reißt ihn – und was er liebt – mit sich fort.
Mit Woyzeck hat der 23-jährige angehende Mediziner Georg Büchner einen sozialrevolutionären Text geschrieben, der unvollendet blieb. Als Vorläufer des modernen Dramas ist ihm eine Studie gelungen, die bis heute aktuelle Fragen diskutiert: Sind wir frei oder werden wir fremdbestimmt, wer oder was grenzt aus, bestimmt über die Zentren und die Ränder unsrer Gesellschaft?

Premiere: Fr – 24. Jan 20
Inszenierung
Musik
Dramaturgie

Pressestimmen

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Grete Götze, 01. Feb 20
Dieser Abend ist voll von unheimlichen Gestalten, er wird spannend und dicht erzählt: eine zeitlose Parabel auf das unmenschliche Miteinander. Und Krappatschs Spiel folgt man gebannt bis zur letzten Sekunde.

Wäre sie nicht schon vor Jahren entdeckt worden, müsste man sie eine Entdeckung nennen: Sylvana Krappatsch gelingt es in Stuttgart als „Woyzeck“ schon nach wenigen Minuten, das Publikum zu fesseln. ... Paula Skorupa [als Marie] steht dem Irrgewordenen mit jugendlicher Willensstärke und breitem Kreuz gegenüber - ein ungleiches, rührendes Paar, bevor es zum unvermeidlichen Ende kommt.

Stuttgarter Zeitung
Roland Müller, 27. Jan 20
Der Regisseur Zino Wey montiert das Stück auf kluge Weise neu: Soziales Elend, Ausbeutung, Klassenverhältnisse interessieren ihn schon auch, aber den Fokus legt er auf die Psychopathologie einer Gesellschaft, in der alle unter Zwangs- und Wahnvorstellungen leiden – nicht nur Woyzeck, der sich in seinen Äußerungen immerhin als Diagnostiker der Paranoia-Gesellschaft erweist. Emphatisch begleitet Wey den Soldaten auf seinem Passionsweg durch die Garnisonsstadt.

Doch die schwindelerregenden Abgründe des Menschen verlieren er und seine Darsteller nicht aus den Augen. Da ist vor allem Sebastian Röhrle, der seinen Tambourmajor als geilen Hengst auf die Bühne knallt – und da ist Paula Skorupa als Marie, Woyzecks Geliebte, die in somnambuler Verzweiflung und Verzückung der dampfenden Geilheit des imposanten Burschen verfällt. … In seiner Novelle „Lenz“ formuliert Büchner ein Ideal: Mit „Zuckungen und Andeutungen, dem ganz feinen, kaum bemerkten Mienenspiel“ müsse man sich „ins Leben des Geringsten senken.“ Sylvana Krappatsch kommt diesem Ideal sehr, sehr nahe.

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Nachtkritik
Elisabeth Maier, 24. Jan 20
Die Gewalt, der sie als Frau in einer maskulin geprägten Welt begegnet, legt Krappatsch in ihrer Männerrolle sehr subtil und feinfühlig offen. Diese Besetzung folgt nicht allein dem Trend, dass sich Frauen die großen Rollen der Männer aneignen. Zino Wey legt damit eine doppelte Unterdrückung offen. ... Die Wut ihrer Figur frisst die Spielerin in sich hinein. Reglos und fahl steht sie im Bühnenraum, wirkt verloren und einsam. Wie es in ihr brodelt, spiegelt Krappatschs kluge Körpersprache grandios.

Paula Skorupa gewinnt ihrer Figur eine immense Vielschichtigkeit ab. Sie verblasst nicht in der Opferrolle, sondern behauptet ihr kleines bisschen Glück.

Zino Weys zeitlose Lesart von Büchners viel gespieltem Dramenfragment bringt die Facetten des Textes schön zum Tragen. Diese Balance zwischen politischer Botschaft und der Flucht in eine Märchenwelt macht den Reiz der 80 Minuten im Zeitraffer getakteten Regiearbeit aus. Woyzecks Wut und Leidenschaft gehen in Zino Weys ästhetisch faszinierenden Theaterbildern oft unter. Doch in seiner Lesart ist das kein Defizit. Gerade durch diese Verknappung, durch die Konzentration auf die verzweifelte Lage des Menschen Woyzeck, überzeugt Weys Blick auf Büchners Dramenfragment umso mehr.

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Esslinger Zeitung
Martin Mezger, 27. Jan 20
Und wer ist Woyzeck? Erstens: eine Frau, gespielt von der überragenden Sylvana Krappatsch, aber weder Travestie noch Gender-Übung, eher undefinierte Rätselfigur, weiß gekleidet wie seine Marie (Kostüme: Veronika Schneider). Zweitens: ein cooler Dulder und cooler Killer…. Den Minimalismus der Figurenzeichnung nützt Sylvana Krappatsch für ein Maximum an lapidarer darstellerischer Prägnanz. Tonlosen Tons trifft sie die unbehauste Ausgesetztheit Woyzecks. Kleine, aber vielsagende Gesten, etwa ein leicht zur Seite gerollter Kopf, künden von allem Weltverlust.

Wey gelingen indes einige atmosphärisch bündige Bilder, und die hängen mit der Figur des Idioten (Robert Rozic) zusammen ..., die die zahlreichen Volksliedtexte im Stück per Mikro in den Elektrohall singsangt: ein teilnehmend-hilfloses Echo der Sinnlosigkeit des elenden Daseins. Und wenn Kästen hereingeschoben werden, aus denen Schalltrichter ragen, die auch Gewehrmündungen sein könnten, ist das ein Bild der stummen Stimmen, denen Woyzeck lauscht, aber auch terroristischer Bedrohung ... („Schießen steht jedem frei“, singt dazu der Idiot). Das auf den Boden gesunkene Glühbirnennetz wiederum formiert sich zu jenen „Pilzen“, die Woyzeck als geheime Schrift der dämonisierten Natur entziffern möchte. Feinsinnige Imaginationen also…

Südwest Presse
Otto Paul Burkhardt, 27. Jan 20
Schauspielerisch gibt es eindrückliche Momente: Matthias Leja als zynisch philosophierender Hauptmann, Sebastian Röhrle als kraftmeiernder Tambourmajor, Paula Skorupa als sehnsuchtvolle Marie. Vor allem Sylvana Krappatsch, die eine ungewöhnliche Woyzeck-Lesart verkörpert: als systemgelenkte Marionette, zermürbt, zerstört, traumatisiert. Manchmal legt ihr Woyzeck den Kopf schief. Und wirkt dann so, wie ihn die Oberen haben wollen: wie ein trauriger Clown.
Ludwigsburger Kreiszeitung
Arnim Bauer, 27. Jan 20
Wey nutzt die Freiheiten, die die Fragmentierung der Vorlage erlaubt, und erzählt die Geschichte des Woyzeck nach seiner Version. Das beginnt mit der Titelfigur, die von Sylvana Krappatsch gespielt wird. ... Unglaublich ausdrucksstark zeigt sie diesen einfachen Soldaten Woyzeck, diesen am unteren Ende der Gesellschaft vegetierenden armen Hund…. Stoisch und stumm leidend zeigt [sie] den armen Tropf. Dabei wird klar, dass Wey hier nicht einfach den oben angeführten Argumenten folgt, diese Rolle weiblich zu besetzen. Vielmehr nimmt die zierlich wirkende Schauspielerin diesem Woyzeck auch jede heldenhafte Männlichkeit, lässt ihn im herkömmlichen, heute fast schon überholten und dann doch wieder hervorgekramten schwachen Frauenbild jeden Widerstand ad absurdum führen. Eine doppelte Negation, die Wey hier besonders gut gelungen ist. Vor allem dann, wenn Woyzeck auf seinen Kontrahenten, den Tambourmajor trifft und von diesem misshandelt und letztlich verhöhnt wird, der von Sebastian Röhrle in wahrhaft teuflischer Bosheit und Verachtung gespielt wird.
junge Welt
Mesut Bayraktar, 31. Jan 20
Sylvana Krappatsch spielte einen Woyzeck, dem die Blässe des Todes im Gesicht klebt. „Wie ein offenes Rasiermesser" bewegt sie sich auf der Bühne, bis sie Marie erwürgt. Der Körper blockiert, die Augen und Mundwinkel unter Zuckungen leidend. Mit zittriger, irrer Stimme sagt sie nach dem Mord zum Publikum: „Was gafft ihr? Seht euch selbst an!“ Das ist große Kunst.
Ebenso Matthias Leja in der Rolle des Hauptmanns: Der gesenkte Kopf, die markanten Züge, das Sinieren über die Ewigkeit enthüllen den versteckten Hass auf die Lebenden und Lebensdurstigen. Auch der Tambourmajor (Sebastian Röhrle) überzeugt als faschistische Konsequenz eines barbarischen Umfelds. Schließlich wandelt der Idiot über die Bühne, Robert Rožić. Diskret, aber mit bedrückender Präsenz erscheint er als das uneheliche Kind und begleitete die Aufführung mit einem zarten, unaufdringlichen Gesang. Mit unheimlicher Schönheit trägt er die märchenhaften Zeilen des armen, verwaisten Kindes vor: „Und wie’s wieder auf die Erd wollt, war die Erd ein umgestürzter Hafen.“

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Südkurier
Johannes Bruggaier, 27. Jan 20
Am Stuttgarter Schauspielhaus ist jetzt so ein wahrhaftiger, von aller Individualität befreiter Mensch zu beobachten. Er heißt Franz Woyzeck, wird gespielt von einer Frau (Sylvana Krappatsch) als jeder geschlechtlichen, sozialen und moralischen Kategorie enthobenes Wesen. Wir sehen vor uns: den Menschen, wie er wirklich ist. … Wie sieht er aus, wenn man ihn all seiner Eitelkeiten entkleidet? Regisseur Zino Wey liefert mit seiner Inszenierung eine spannende Fragestellung.

Rote Fahne Magazin
Peter Borgwardt, 05/2020
Gewiss keine leichte Kost, aber sehenswert!

Ganz in diesem Sinne Büchners darf die Darbietung von Sylvana Krappatsch als Woyzeck (die Regie hatte bewusst eine Frau für die Hauptrolle ausgewählt) und von Paula Skorupa als Marie als herausragend bewertet werden.

Einblick: Regisseur Zino Wey
spricht über "Woyzeck"
"Woyzeck" Trailer
Audio-Einführung zu "WOYZECK" gesprochen von Sebastian Röhrle