Farm der Tiere

von George Orwell
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach
In einer Bearbeitung von Oliver Frljić
Schauspielhaus
Ab Klasse 9
Dauer – ca. 1:30 Std., keine Pause
Premiere
Sa – 27. Apr 24
Sie werden eingesperrt und ausgebeutet, ihre Körper geschunden. Die Tiere auf dem Gutshof von Mister Jones haben die Schnauze voll. Gemeinsam leisten sie Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse und revoltieren. Nachdem sie ihren Peiniger vom Hof vertrieben haben, steht der Umsetzung ihrer Vision theoretisch nichts mehr im Wege: Alle Tiere sind gleich. Doch bald schon kristallisiert sich eine neue Elite heraus. Korrumpiert von der Macht stellen sich die Schweine an die Spitze der neuen Ordnung. Unter dem Vorwand, im Sinne der gesellschaftlichen Transformation zu handeln, lassen sie die anderen Tiere schuften, während sie selbst in das Haus von Mister Jones einziehen. Sie stellen neue Regeln auf und räumen sich Privilegien ein. Das einstige Ideal einer gerechten und freien Gesellschaft erodiert zusehends und bleibt unvollendete Utopie.

Die Fabel des britischen Schriftstellers und Journalisten George Orwell kommt so harmlos wie ein Märchen daher, umso schlagkräftiger wirkt das Ende der Geschichte. Orwells Meisterwerk aus dem Jahre 1945 ist längst nicht mehr nur als Kritik an der ehemaligen Sowjetunion zu lesen, sondern verdeutlicht, wie Gesellschaftsentwürfe zu Dystopien verkommen, wenn die ursprünglichen Ideale von einigen wenigen aus Egoismus verraten und ins Gegenteil verkehrt werden: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“
Inszenierung
Bühne
Choreografie
Dramaturgie

Pressestimmen

Südkurier Konstanz
Roland Müller, 30. Apr 24
Anderthalb kurzweilige Stunden dauert die Inszenierung, die mit einem dreizehnköpfigen Ensemble aufwartet. … Das alles unterhält mit hohem Schauwert bestens das Auge des Zuschauers und vernebelt doch nicht seinen Sinn, wenn etwa nach der Revolte die neue Verfassung auf einem Transparent niedergeschrieben wird. Wie in einer Gospelmesse, mit religiöser Inbrunst, ekstatischem Gesang, feiern die Tiere die sieben Freiheitsartikel. …

Mit Orwell, das zeigt die bunte, wilde, überraschende Inszenierung, teilt Frljić die Skepsis gegenüber jeglicher Spielart von Macht. Der Regisseur sieht deren immerwährenden Missbrauch, gerade auch dann, wenn sie sich mit moralischer Überlegenheit tarnt. Mit dieser Haltung pirscht er sich schließlich an die brandaktuelle Frage von Krieg und Frieden ran, an Verhandeln versus Weiterkämpfen, ohne darauf eine Antwort zu geben. … Mithin kennt der Abend kein Gut und Böse, kein Richtig und Falsch, er ruft vielmehr Ambivalenzen auf und liegt damit quer zum politischen, nach Eindeutigkeiten verlangendem Mainstream-Diskurs. … Zu hoffen … ist, dass [Frljić] als unabhängiger Kopf weiterhin in Stuttgart willkommen bleibt.
Stuttgarter Zeitung
Dorothee Schöpfer, 29. Apr 24
Wie Opportunismus funktioniert, warum die einfachen Parolen „Mensch schlecht, Tier gut“ so gefährlich sind, das wird eindrücklich demonstriert mit dem Bild von schnell hin- und her springenden Hühnern, Schafen und Kühen (Choreografie: Andrea Krolo), die immer auf der Seite dessen stehen, der gerade am lautesten schreit. Sei es das Wortführerschwein Napoleon (Julian Lehr) oder sein Genosse Schneeball (Valentin Richter). …

… die Werkstätten [zeigen] bei dieser zwar wortlastigen, aber auch musikalisch mit Dixiesound und pathetischen Orchesterklängen angereicherten Regiearbeit ihr ganzes Können: Pia Maria Mackert ist für die Kostüme verantwortlich, in denen die Hühner in hüfthohen roten Lackstiefeln und grandiosen roten Haarkämmen Bella Figura machen und den Kühen ihr Euter wie ein überdimensionierter Kragen um den Hals hängt. …

Glücklicherweise ist diese Inszenierung der pessimistischen Fabel von der Unverbesserlichkeit der Menschen in Tiergestalt … auch durchlässig für den Witz und die Spielfreude des Stuttgarter Staatstheater-Ensembles: Es ist eine Freude, Boris Burgstaller als Sprecher der Schafe oder Hannah Müller als Wortverdreher Propagandaschwein Quieker zuzusehen.
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Südwest Presse
Otto Paul Burkhardt, 29. Apr 24
Klar, die Fabel ist als Kritik an der Sowjetunion deutbar. … Doch Frljić weitet den Blick und erzählt Orwell als universell gültige Parabel über den Zerfall von Utopien und den Aufstieg korrumpierter Machtcliquen. Nach wie vor beklemmend aktuell.
Optisch geht es turbulent zur Sache: Ein Kostümfest mit rosa Schweinebäuchen, üppigen Hühner-Federkleidern und braunen Pferde-Outfits. Dazu pfeffert Frljić den lehrstückhaften Duktus mit bizarren Choreographien. Wobei die Tiere als mündige Subjekte nicht immer gut wegkommen …

… auch ohne Kurs in russischer Geschichte sind Frljićs Bilder verständlich … [Frljić] löst … die Fabel aus der bloßen historischen Fixierung und öffnet sie wieder ins Allgemeine – als verstörende Parabel über die Transformation von Utopien in Terrorsysteme.

… eine eigenwillige Inszenierung, ein absurder Schluss: Hoffnung und Horror liegen dicht beieinander.
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Heilbronner Stimme
Claudia Ihlefeld, 03. Mai 24
Für das Stuttgarter Schauspiel hat … Regisseur Oliver Frljić die Farm der Tiere bearbeitet, als schrille Groteske inszeniert und dabei alle Register der Illusionsmaschine Theater gezogen. Großes Kino also, ein plakativer Spaß, dessen Subtext einem als bitteres Lachen im Halse stecken bleibt. Der Premierenapplaus gerät stürmisch und gilt Produktionsteam und Ensemble gleichermaßen. ...

Spielerisch und frech überzeichnet kommentieren Oliver Frljić und seine famos aufgelegten Schauspieler mit Pathos und Witz das tierische Machtspiel und stellen Bezüge zur Gegenwart her – und das ist so kurzweilig wie sehenswert.
Die deutsche Bühne
Manfred Jahnke, 28. Apr 24
[Regisseur Oliver Frljić] interessiert weniger der Vermenschlichungs-prozess der Schweine, sondern es geht um die Frage der Macht beziehungsweise deren Missbrauch. Insbesondere das Wesen des Kriegs rückt er ins Zentrum: Was einmal zur eigenen Absicherung diente, wird nun zum Mittel der Vernichtung des Anderen. … Die Bezüge zu gegenwärtigen Kriegen drängen sich auf, ohne dass sie in der Aufführung explizit genannt würden. …

Pia Maria Mackert hat für die Tiere Kostüme aus Fatsuits geschaffen. Sie spielt mit kleinen realistischen Details (wie Federn bei den Hühnern), um eine Wiedererkennung zu ermöglichen. Diese Wechsel zwischen grotesken und realistischen Momenten bestimmen auch die Choreo-grafien von Andrea Krolo zu einer spannenden Musikauswahl, in der harte Beats dominieren. …

Für die Vertreter der einzelnen Tiergruppen hat die Regie in Stuttgart artifizielle, wie signifikante Formen gefunden. Wie Felix Jordan als unermüdliches Pferd Boxer, Mina Pecik als Stute Klee, Gabriele Hintermaier als Ratte für ihre Existenz eintritt, Karl Leven Schroeder als Sprecher der Hühner oder Gábor Biedermann als Esel Benjamin spielen, sind kleine Kabinettsnummern.
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Ludwigsburger Kreiszeitung
Uta Reichardt, 03. Mai 24
… Die Choreografien von Andrea Krolo fügen sich passend in die Darstellung der Farmtiere irgendwo zwischen naivem Herdendrang und trotziger Aufruhr: mal ein erschrockenes Auseinanderstieben, dann wieder in Reihen die Arme recken oder die Hälse strecken.

… Doch bei aller knalligen Darstellung und dem zuweilen schreckens-lauten Geräuschpegel sorgen die Tiercharaktere wie der dickköpfige Esel Benjamin (Gábor Biedermann) oder die renitente Sprecherin der Kühe (Gabriele Hintermaier) für emotionales Mitschwingen beim Zuschauer. …

An Frljics klug eingesetzten Tierfiguren kommt man nicht vorbei … Dabei überlässt die Inszenierung die letztendliche Deutungshoheit stets dem Zuschauer. Und der fühlt sich … nicht belehrt, sondern womöglich bestärkt, die mannigfaltigen Mechanismen menschlicher Macht-verhältnisse in unserer Zeit kritischer zu reflektieren.
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