Die Lage (UA)
Kammertheater
Dauer – ca. 1:30 Std, keine Pause
Wiederaufnahme
Spielzeit 2021/22
Spielzeit 2021/22
Die Wohnungsbesichtigung als Castingshow: attraktiv, erfolgreich, mit dickem Bankkonto und einem vorzeigbaren Partner versehen – so sieht er aus, der Mieter oder die Mieterin mit Chancen. Um ein WG-Zimmer, eine Dreizimmer-Altbauwohnung in einem aufstrebenden Viertel oder gar ein Loft über den Wolken zu ergattern, muss Intimes offengelegt werden. Die Bewerber:innen haben nicht nur Akustikproben sexueller Betätigungen, sondern auch ein Zertifikat eines Schlaflabors zur Bestimmung des Schnarch-Lautstärkepegels abzugeben.
Thomas Melle hat eine Symphonie unterschiedlichster Stimmen komponiert: Maklerinnen und Journalisten, Durchschnittsverdiener und reiche Erbinnen, Wegsanierte und An-den-Rand-Gedrängte tummeln sich auf dem modernen Kriegsschauplatz Wohnungsmarkt. Gebrüll ertönt auf imaginären Barrikaden, ein Chor beschwört die Sonne, auch die eigene „kleine Koje“ zu erwärmen.
Mit zunehmender politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit wird die eigene Wohnung zum Bollwerk gegen die „Fährnisse der Zeit“, eine Verheißung privaten Glücks, das mit allen Mitteln erkämpft werden muss. Nachbarschaften werden durchleuchtet und Toilettendesign zur Lebenseinstellung hochstilisiert. Auch in vermeintlich sozial eingestellten Bevölkerungsschichten wird Wohnen wieder zum Distinktionsmerkmal.
Wie ist es um die viel gepriesene Einheit unserer Gesellschaft bestellt, wenn sich die begehrten Innenstädte zunehmend in Festungen des Luxus verwandeln, die für Normalbürger:innen immer unerreichbarer werden? „Die Miete ist die soziale Frage unserer Zeit“, heißt es im Stück, welches eines der drängendsten Probleme der Gegenwart umkreist.
Uraufführung: Fr – 18. Sep 20
Thomas Melle hat eine Symphonie unterschiedlichster Stimmen komponiert: Maklerinnen und Journalisten, Durchschnittsverdiener und reiche Erbinnen, Wegsanierte und An-den-Rand-Gedrängte tummeln sich auf dem modernen Kriegsschauplatz Wohnungsmarkt. Gebrüll ertönt auf imaginären Barrikaden, ein Chor beschwört die Sonne, auch die eigene „kleine Koje“ zu erwärmen.
Mit zunehmender politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit wird die eigene Wohnung zum Bollwerk gegen die „Fährnisse der Zeit“, eine Verheißung privaten Glücks, das mit allen Mitteln erkämpft werden muss. Nachbarschaften werden durchleuchtet und Toilettendesign zur Lebenseinstellung hochstilisiert. Auch in vermeintlich sozial eingestellten Bevölkerungsschichten wird Wohnen wieder zum Distinktionsmerkmal.
Wie ist es um die viel gepriesene Einheit unserer Gesellschaft bestellt, wenn sich die begehrten Innenstädte zunehmend in Festungen des Luxus verwandeln, die für Normalbürger:innen immer unerreichbarer werden? „Die Miete ist die soziale Frage unserer Zeit“, heißt es im Stück, welches eines der drängendsten Probleme der Gegenwart umkreist.
Uraufführung: Fr – 18. Sep 20
Inszenierung
Bühne / Kostüme
Kostüme
Video
Birgit Stoessel
Licht
Dramaturgie
"Die Lage" - Trailer am Schauspiel Stuttgart
"In Melles Stücktext gibt es manche im Chor gesprochene Passage: Es ist der Chor der ewigen Wohnungssucher, der hier den größten gemeinsamen Nenner sucht … . Daraus nun aber zu schließen, auf die Individualität der Schauspieler käme es nicht an, wäre falsch. Sie sind sogar sehr unterschiedlich, und sie machen ihre Sache sehr gut. Jannik Mühlenweg spielt den Vorsitzenden eines studentischen WG-Castings als scheinbar zahmen Sitz-Yogi, in dem sich ein Monster verbirgt. Der unverschämte Makler [Sebastian Röhrle] sieht hier aus wie ein wiedergeborener Michel Foucault, glatzköpfig überlegen."
"Ins Groteske lässt die Regie das Ganze immer wieder kippen, einmal auch in einem überraschenden Gewaltausbruch zwischen einem wohnungssuchenden Paar, bei dem ein Stilettoabsatz zum Einsatz kommt. … Die Dramaturgie setzt dabei auch auf Slapstick, was sich angesichts mehrerer großartiger Monologe im Text anbietet. Bei einem davon wähnt man sich eher bei Thomas Bernhard als bei Thomas Melle: Er wirkt wie ein zwinkerndes Weiterdrehen der Tirade über Wiener Toiletten auf aus Bernhards "Alte Meister", wenn hier ein verzweifelter Urbanist (großartig: Boris Burgstaller ) sich mit einem antiquierten Flachspülklosett konfrontiert sieht…."
"Die hybride Erzählform, in der Thomas Melle zu Hause ist, wird im Stuttgarter Kammertheater wunderbar adaptiert zwischen antiker Tragödie und Handke'schem Sprechstück. Das Ensemble spielt zum Auftakt dieser besonderen Theatersaison groß auf."
"Josephine Köhler ist es auch, die in der insgesamt sehr, sehr starken, zuletzt auch von Wutbürgern bevölkerten "Lage" den doch stärksten, nachhaltigsten, beeindruckendsten Auftritt hat. Nicht als Immobilienfrau, sondern als Erbin, die Skrupel empfindet ob des ihr zugefallenen, unverdienten Reichtums. Die Beine gespreizt, bringt sie ihn dennoch zur Welt, in einem Geburtsvorgang mit heftigen Geburtswehen, die alle Bedenken beseitigen.
Mit solchen und anderen Bildideen überzeugt die Regie von Tina Lanik, die sich in Stuttgart schon einmal als Spezialistin für zeitgenössische Dramatik empfohlen hat, als sie Nis-Momme Stockmanns "Imperium des Schönen" souverän uraufführte.
Jetzt also "Die Lage" – und Thomas Melle schildert sie so umfassend, so reich an Perspektiven, so aufgeladen mit grimmigem, düsterem, zornigem Humor, dass am Ende kein Zweifel mehr bleibt: Nicht die Menschen suchen Wohnungen, sondern die Wohnungen suchen Menschen – und wenn sie keine passenden finden, werden welche gezüchtet. Das ist die Lage."
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"Es geht um die Suche nach einer Wohnung, nicht um Krieg. Doch Thomas Melle verknüpft beide Ebenen in seinem neuen Stück "Die Lage" ausgesprochen klug. … Hinter Bewerbungsmappen und Schufa-Auskünften verbergen sich Alltagsgeschichten von Paaren, die sich bitter bekriegen. … Dennoch versteht es Melle mit seiner dunklen Sprachkunst virtuos, diese Zimmerschlachten nicht zu überspitzen. ... Immer wieder überblendet der Schriftsteller das Drama mit griffigen Schilderungen. Knapp und prägnant bringt er so die Beziehungen auf den Punkt."
"Mit einem Ensemble, das die Zwischentöne im Text überzeugend in Bewegungen und Gesten strafft, schafft es Regisseurin Lanik, Melles Text schlüssig auf die Bühne zu bringen. Es ist pure Verzweiflung, die aus Josephine Köhlers Radiomoderatorin spricht, die mehr zu sein vorgibt, als sie ist. Grandios verkörpert sie die eine Erbin, die selbst nichts erschaffen kann. Sebastian Röhrle verzerrt seinen Makler zur Kunstfigur, um die Lügen in den Exposés zu vertuschen. Als resignierter Underdog, der seine Wohnung verloren hat, berührt Boris Burgstaller mit der Absage an ein erfülltes Leben."
"Mit "Die Lage" hat das Staatstheater nicht nur einen starken Text zur Uraufführung gebracht. Die Lust der Schauspieler, gerade die tragischen Aspekte aus seiner komplexen Gegenwartsdramatik herauszukitzeln, überzeugt."
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"Lustig dabei ist, dass einem die beiden Damen, Marietta Meguid und Josephine Köhler, zunehmend überlegener im Umgang mit der ganzen Malaise erscheinen. Herrlich, wie die extrem nuancierte Köhler wie eine Regisseurin Wohnungssuchende zur Entäußerung antreibt."
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"Die Wut als Glutkern des Stücks ist trotz behutsamer Regie noch spürbar. Lanik legt den Akzent eher auf subversiven Sprachwitz und die befreiende Wirkung von Schimpftiraden. … Dickes Kompliment ans Ensemble!"
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"Und die Inszenierung tut das kurzweilig, zügig, abwechslungsreich und pointiert. Immer wieder dreht das Geschehen ins Absurde, leise Satire klingt an, die uniformen Figuren, bloßgestellt, durchschaubar bis auf die Haut, und dies gegen Ende auch im wahren Wortsinn, begehren auf."
"Mit einer bemerkenswerten Ensembleleistung ist es in jedem Fall ein gut anzuschauendes Stück, ein Beispiel dafür, wie ein aktuelles Thema gut und auch abstrakt im Theater verhandelt werden kann."
"Melle wirbelt sie alle hinein in ein Kaleidoskop der Selbsterniedrigung, aber die Schauspieler stemmen sich dagegen. Sebastian Röhrle tobt, entdeckt die Luxuswohnung als Bruchbude, begehrt auf in einem großen Monolog; Josephine Köhler beklagt in einer groteskbrillanten Szene, unter Wehen mit offenen Schenkeln auf der Spüle, das arge Schicksal reicher Erben."
"Regisseurin Tina Lanik hat Thomas Melles Stück als einen Blick in ein exklusives Irrenhaus inszeniert, grell, laut, mit einigen sehr starken, immer aber bitteren Szenen, an einem Ort, an dem es kein Mitgefühl gibt, die Menschen kommen, die Menschen gehen."
"Manchmal allerdings geht mit dem Autor die wilde Wut gegen die Verhältnisse durch, das ungestüm Assoziative und Selbstzerstörerische, das wir aus seinen Romanen kennen. Denn natürlich gibt es neben den Mitinteressenten immer einen Vormieter, der hier als Obdachloser noch in der Wohnung herumspukt. In Stuttgart liegt er wie Holbeins "Leichnam Christi im Grabe" in einem schrankartigen Verließ. Da ist Melle dann kurz ganz bei sich, der Außenseiter als Künder der Wahrheit."
"Insgeheim hat das Stück ein ganz anderes Zentrum. Vom Sexgestöhn bis zu den ersten Wehen einer Schwangeren ist die Wohnung für Melle psychisch besetzt: ein betonierter Mutterschoß. Und den verzweifelt Heimat-Suchenden bleibt nur Munchs "Schrei"."
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"Damit gibt Lanik ihrer Inszenierung eine wichtige Linie vor: Sie betont das aggressive Potential des Stoffes, verbindet es zugleich mit einer klaren politischen Haltung, wenn am Tresen dann das Wort "Revolution" geschrieben wird. Oder, wenn im Abschlussvideo erneut eine große Schießerei stattfindet, in einem durch Spiegel sich brechenden Raum und mit Comicelementen."
"Mit dem hohen Spieltempo, den Szenen, die sich direkt an das Publikum wenden, und den schnellen Rollenwechseln, die in dieser Form ein intensives Mitdenken der Zuschauer einfordern, versucht die Regie herauszustellen, dass die Frage nach bezahlbaren Wohnungen keine individuelle Angelegenheit ist, sondern ein massives gesellschaftliches Problem darstellt."
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