Sonne / Luft

von Elfriede Jelinek
Kammertheater
Ab Klasse 10
Dauer – ca. 1:30 Std., keine Pause
Premiere
Sa – 11. Mai 24
Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang und kämpft ihren unaufhörlichen Kampf von Glut und Glanz. Alle Tränen, die sie verdrücken will, verdampfen zu Rauch und Staub. Und so also lacht sie den brennenden Wäldern und verdorrenden Landstrichen in die rat- wie rastlosen Visagen. Doch auch wenn es das Letzte ist, was sie tut, sie will erzählen von dem, was sich im goldenen Schein des Tages, über dessen Anfang und Ende allein sie bestimmt, ihrem Blick eröffnet, zumindest auf der einen Seite der Kugel. Ein Drache hebt ab in die Untiefen des Himmels, mäandert nach Luft und Laune zwischen den Wolken hindurch. Wer lässt die Winde wehen, wer trägt die Last des Flugzeugs und treibt die Leichtigkeit des Segels in rasender Geschwindigkeit und träger Trauer? Erde, Feuer, Wasser, was? Die scheinheilige Kontrolle des Menschenwesens über die Elemente scheint gesichert. Doch urplötzlich sind da zwei Fenster geöffnet – schwupps! Ein feiner gezielter Stoß – „endlich einmal durchatmen“, sagt die Luft, und es fliegen die Teile des Schreibtischs quer durch das Büro, dahin ist sie, die Steuererklärung.

Aus der Sicht von Sonne und Luft untersucht Elfriede Jelinek die (Ver-)Irrungen und (Ver-)Wirrungen des Menschen im Umgang mit seiner Umwelt, ohne dass das Wort Klimawandel auch nur ansatzweise in die Nähe ihrer polyfonen Textfläche gelangt. Gnadenlos gelassen und herzlich hart erzählt der Text die Geschichte vom Menschen und vom Scheusal im Mikrokosmos Erde zwischen Sonnenschein und Luftgestoße.
In dieser Produktion wird Stroboskoplicht verwendet.
Inszenierung
Bühne / Kostüme
Dramaturgie

Pressestimmen

Nachtkritik.de
Verena Großkreutz, 12. Mai 24
Böse, sehr böse ist diese Jelinek-Sonne. Katharina Hauter spielt sie trefflich: mit der Gleichgültigkeit und Überheblichkeit der Übermächtigen, erhaben und zynisch. Beobachtet die Menschen von oben, als seien’s widerliche Insekten. …

FX Mayr hat das Stück für seine Inszenierung … gekürzt und den Text auf fünf Spieler:innen verteilt. Samt einer guten Idee: Er lässt die beiden Textflächen nicht nacheinander spielen, sondern implantierte den genialen Sonnenmonolog stückweise in den zweiten Teil, in Luft – woraus sich eine ganz eigene Dynamik entwickelt und die Texte untereinander reagieren können. …

Gespielt wird auf offener, recht kahler Bühne, die Rückwand wechselt farblich die Hitzegrade. Das Surrounding, in dem Mayr den Text verortet, wirkt dystopisch. Eine Welt merkwürdiger Wesen: mystisch, menschlich, göttlich zugleich. Sie sprechen oft in seltsam verdrehter Körperhaltung. …

Aber das alles sind sehr sachte, sehr fein eingesetzte Unterhaltungs-elemente. Im Mittelpunkt steht stets Jelineks virtuos komponierter Text: assoziativ und gespickt mit Sprachwitz von Pointe zu Pointe suadierend. Die Fünf performen ihre Monologe und die riesigen Textmengen durchweg formidabel: sehr genau getimt, abwechslungsreich, plastisch, musikalisch, lebendig, mit suggestiver Kraft. Es entsteht ein Sprachsog, der einen über 90 Minuten in Bann hält. …

… Der Text in seiner poetischen Kraft wirkt auf diese Weise unmittel-bar, wühlt auf und beunruhigt. Großartig.
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Sueddeutsche.de
Adrienne Braun, 12. Mai 24
Elfriede Jelineks Sonne/Luft ist … eine Textlawine, die fordert und bisweilen überfordert. … Grandios, wie Jelinek die vielfältigen Eigenschaften von Luft zusammenträgt und ihr als Hauptfigur den Respekt gewährt, den der Mensch ihr nicht zollt. "Zahlen muss man nichts für sie, daher ist sie ja so versaut." Die fünf Schauspieler stecken in Kostümen von Korbinian Schmidt, die höfische Eleganz und Science-Fiction-Ästhetik mixen. …

Das fünfköpfige Team, darunter Sebastian Röhrle und Silvia Schwinger, ist stark und präzise. Der Regisseur FX Mayr versteht es, die mäandernden Gedanken Jelineks luzide zu vermitteln, was die spielerische Versiertheit und die Wirkkraft der Bilder keineswegs mindert. …
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Ludwigsburger Kreiszeitung
Uta Reichardt, 31. Mai 24
Lose Choreografien aus Tanz, Gesang, Klatschen, Stampfen (Musik: Matija Schellander) imponieren mit starker Rhythmik und atmosphärischer Lautmalerei, dazwischen geschwind auch einmal eine Jodel-Einlage. … Und die Beleuchtung (Licht: David Sazinger) schafft dazu immer neue intensive Farbwelten oder -kontraste, denen man sich kaum entziehen kann. Am beeindruckendsten hallt freilich die darstellerische Leistung nach, die den wortverspielten Monologflüssen Jelineks lohnende Struktur geben …

Ausdauernden, starken Beifall erhält die großartige Gesamtleistung im Kammertheater nach neunzig pausenlosen Minuten völlig zu Recht: Das Ensemble erschafft aus Jelineks genialem Textungetüm, diesem absurd-apokalyptischen Abgesang auf die Welt und die Irrungen und Wirrungen des Menschen in ihr, ein imponierendes Bühnenspektakel.
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Südwest Presse
Otto Paul Burkhardt, 14. Mai 24
Die Sonne … ist bei Katharina Hauter eine coole Queen im pompösen Reifrock, die, im Bewusstsein ihrer potenziell alles verbrennenden Strahlmacht als Feuerwalze, müde und mit wenig Mitleid auf die spaßgeilen und zerstörerischen Erdenmenschen herabblickt. Das Vierer-Ensemble (Silvia Schwinger, Sebastian Röhrle, Camille Dombrowsky, Tim Bülow) textet in Mayrs Regie das Publikum nahezu atemlos zu. …

… Tolles Theater, furios gespielt, mit Fantasie und Elan inszeniert.
Stuttgarter Zeitung
Adrienne Braun, 13. Mai 24
Im Kammertheater lässt die brillante Autorin Wind und Sonne zu Wort kommen – im grandiosen Ritt durch die Gegenwart. …

Der Regisseur FX Mayr hat die Textmassen auf die Schauspieler geschickt verteilt … So sehr man beim Zuhören auf Zack sein muss – es ist spannend, Jelinek durch diese vielen Verästelungen zu folgen, zu Tourismus, Ökonomie und Politik bis hin zu den „ganzen Plastiksackln“, die „wehrlos, wie sie sind, von Fischen und andren Meeresinsekten“ verschluckt werden. …

Mit beeindruckender Leichtigkeit und Souveränität vermitteln [Katharina] Hauter, Silvia Schwinger und Sebastian Röhrle, Camille Dombrowsky und Tim Bülow diese gallige Kost.
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