Lorbeer (UA)

von Enis Maci
Kammertheater
Dauer – ca. 1:45 Std, eine Pause
Uraufführung
Sa – 07. Mai 22
Bevor sie sich das erste Mal verwandelt, in der Nacht, sagt Catherine zu David:
ich hab eine Überraschung für dich
was ganz simples
aber auch kompliziertes
es könnte dir gefallen
vielleicht hättest du aber auch was dagegen
Er lässt sie gewähren. Und das ist es dann auch, was er gegen ihre Verwandlungen einzuwenden hat: seine eigene Beteiligung. Er hat gesehen, wovon niemand erzählen kann: den Ereignishorizont, in ihrem Blick gespiegelt.
Gibt es das denn: etwas Neues aus sich selbst herausholen?
Gibt es das denn: unter meiner Haut ein Platz, an dem ich gerne bin?
Die Geliebte Orlandos hat viele Namen: Melone, Ananas, Olivenbaum, Smaragd, Fuchs im Schnee. Sie bleiben zusammen. Aber wie?
Und Daphne bittet ihren Vater, den Flussgott Peneios, sie zu verwandeln, dass Apollon sie nicht länger bedränge. Und daraufhin erstarren ihre Glieder, und sie wird zum Lorbeerbaum.
Wenn ich wiederkehre, kehr ich unter anderen Fahnen wieder, heißt es in einem Lied. Aber Daphne wird nicht eingezogen, sie wird eingesogen. Gibt es das denn: wiederkommen, dahin, wo man gewesen ist, als die, die man war?
Enis Maci
Inszenierung
Bühne & Kostüm

Pressestimmen

Nachtkritik
Steffen Becker, 07. Mai 22
„Lorbeer“ ist als Reigen konzipiert, aus dem sich das Publikum individuell Sinn und Assoziationen ziehen kann. … „Man muss nicht immer alles analysieren, man kann auch einfach mal rezipieren“, lässt Regisseur Mayr seine Schauspieler:innen feststellen. Zur Rezeption bietet „Lorbeer“ tatsächlich einiges. Eine hervorragend getimte Musikauswahl, die die Bühnenstimmung wahlweise einfängt oder antreibt. Farbkompositionen der Beleuchtung, die die ansonsten leere Bühne emotional aufladen. Und vor allem: ein Ensemble, das buchstäblich miteinander verschmilzt. Tino Hillebrand, Teresa Annina Korfmacher, Elias Krischke, Lisa-Katharina Mayer und Sebastian Röhrle verknoten Text und Körper – an manchen Stellen buchstäblich zu einem sich knetenden Menschen-Teig. Die Inszenierung als Kollektiv verlangt ihrem Taktgefühl und ihrem Vertrauen aufeinander alles ab. Dahinter steckt mehr als nur Schaulaufen schauspielerischen Könnens.
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Schwäbische Zeitung
Jürgen Berger, 11. Mai 22
[Enis Maci] macht sehr schnell klar, dass die Frage der geschlechtlichen Identität alleine deshalb schon immer ein literarisches Thema war, weil es ein zutiefst menschliches ist. … Maci hat einen poetischen und im Tonfall zurückhaltenden Text geschrieben. Es geht um Andeutungen und Bilder. Zum Beispiel dem von der Schlange, der Catherine beim Häuten und bei einer jener Verwandlungen zusieht, die im Tierreich so häufig vorkommen und Bilder dafür liefern, dass das mit unserer Identität keineswegs so eindeutig ist, wie viele es gerne hätten.

[Regisseur] Mayr ist stilbewusst und hat in Korbinian Schmidt (Bühne und Kostüme) und Stefan Maria Schmidt (Licht) Mitstreiter, die dafür sorgen, dass aus der Uraufführung ein Gesamtkunstwerk wird. Die Schauspielerinnen und Schauspieler hasten schier atemlos auf die Bühne, als sei das Ganze ein hyperventilierender Catwalk. Kostüme und Lichtstimmungen wechseln schnell und in alle erdenklichen Regenbogenfarben. Zu den starken Bildern der Inszenierung gehört ein Tuchrondell, das sich schwebend auf der Bühne bewegt und in voller Größe wie eine fluktuierende Riesenqualle wirkt. Eine Augenweide ist das schon, auch wenn der schnelle Bilderreigen so dominant ist, dass Enis Macis Text in den Hintergrund zu rücken scheint.

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Ludwigsburger Kreiszeitung
Arnim Bauer, 10. Mai 22
Mit feinem Körpertheater überzeugt „Lorbeer“ im Kammertheater. […]

Mayr wiederum versucht nun, zu diesem Text die passenden Bilder zu finden, wobei er die Freiheiten, die der Text bietet, zu nutzen versucht, letztlich genau so wenig in vorgefertigte Klischees oder herkömmliche Sichtweisen zu verfallen, wie es der Text tut. Für den Zuschauer also letztlich die Konfrontation mit einer Versuchsanordnung, deren Interpretation er selbst und für sich zu besorgen hat. Dabei gibt es Passagen, in denen sehr deutlich wird, wie Mayr und seine fünf Schauspielerinnen und Schauspieler gearbeitet haben. Nahezu wie in einem hochästhetischen Ballett durchchoreografiert bieten sie ein sehr fein abgestimmtes Körpertheater, eine sorgsam ausgewählte Musik tut ein Übriges dazu und wer sich darauf einlässt, betritt tatsächlich zeitweilig neue Welten des Sehens.

Die deutsche Bühne
Manfred Jahnke, 08. Mai 22
Zu den Stärken von Maci gehört, dass ihre Texte in ihrem lyrischen Duktus eine ruhige, unaufgeregte Grundhaltung erzeugen und mehr noch: Ihre Texte sprechen nur selten Dinge direkt aus, weil man sie sehen und fühlen kann ... Hingegen schafft sie Situationen, die man als Zuschauer zu kennen glaubt, die nun in Poesie aufgehoben zugleich fremder wie durchsichtiger erscheinen. Der Alltag ist wieder das, was er ist: eine Abfolge von rituellen Handlungen, besonders, wenn es um Liebe geht. Und sich wie eine Schlange häuten zu können, in eine andere Haut zu schlüpfen, gehört zu den ältesten Sehnsüchten der Menschen.

Mit seiner Inszenierung unterstützt Franz-Xaver Mayr den lyrisch-mythologischen Charakter der Textvorlage. Auf allen Ebenen arbeitet er mit Formen der Verwandlung: auf der Ebene des Lichts mit ständigen Farbwechseln, mit der Bühne selbst, auf der zunächst die Leinwand hinter einem weißen Vorhang verschwunden ist, dann aber wieder auftaucht oder ein kleines Rondell – aus dem gleichen Vorhangstoff -, das hin- und hergeschoben wird. Auch in den Kostümen (ebenfalls von Korbinian Schmidt) spiegeln sich derartige Momente ... Überhaupt haben die Kostüme etwas Surreales. Manchmal erinnern sie aus der Ferne an das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer. Das hängt auch damit zusammen, dass Mayr seine Bilder choreografisch entwickelt, oft unterstützt durch die Musikauswahl von Matija Schellander. Das Ensemble agiert großartig, allen voran Sebastian Röhrle. Alle diese Mittel zusammen ergeben einen starken Abend, der in seiner Ruhe und Schönheit allerdings auch esoterisch wirkt.

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Südwest Presse
Otto Paul Burkhardt, 09. Mai 22
Kein Realismus, eher ein kollektiv spielerisches Nachdenken über Möglichkeiten der Emanzipation aus engen Geschlechterrollen, ein Gedankenexperiment, in das Maci auch Autobiografisches über ihre albanische Großmutter und Aktuelles wie den Ukraine-Krieg mit einfließen lässt. Kurz, ein Essay, fürs Theater choreografiert.
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Stuttgarter Zeitung
Roland Müller, 09. Mai 22
Schon das Setting des Prologs unterläuft die Eindeutigkeiten. Zwei Evas und drei Adams, in graues Leinen gewandet, mit blonden, hüftlangen Haaren, sitzen im rosafarbenen Garten Eden. Den Märchentext teilen die Prä- oder Posthumanoiden unter sich auf, sie zerlegen das paradiesische Narrativ in seine Einzelteile. Der Rest ist Assoziation, ein Gedanken- und Bewusstseinsstrom, den Maci mäandern lässt, wie es die Mode verlangt: fluid wie unsere Identitäten, die man seit geraumer Zeit im Verschwimmen sieht, sofern man mit allen Diskurswassern gewaschen ist. Und das ist die Autorin.
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