Schuld und Sühne
Schauspielhaus
Dauer – ca. 3 Std., eine Pause.
In deutscher Sprache mit englischen Übertiteln
Premiere
Sa – 18. Jun 22
Sa – 18. Jun 22
Kann es die Theorie eines „gerechten“ Mordes geben? Die von Armut geprägten Straßen von St. Petersburg bilden die Welt, in der sich der hochintelligente, aber mittellose Jurastudent Raskolnikow zu behaupten versucht. Im Bewusstsein seiner eigenen Überlegenheit tötet er eine alte Pfandleiherin. Doch nach der Tat befallen ihn Skrupel. Die Auseinandersetzung mit dem Ermittlungsrichter, der sich an seine Fersen heftet, weitet sich zu einem weltanschaulichen Gefecht aus, und auch die Begegnung mit Sonja, die gezwungen ist, ihre Familie durch Prostitution zu ernähren, bewirkt eine innere Umkehr. Am Ende erwartet Raskolnikow eine langjährige Haft in einem sibirischen Straflager.
Raskolnikows radikales Weltbild teilt die Menschen in „gewöhnliche“ und „außergewöhnliche“ Menschen ein. Ist unter der Voraussetzung einer allumfassenden Freiheit des Menschen ein Verbrechen zu rechtfertigen, wenn dies im Namen des Fortschritts begangen wird und einem übergeordneten Ziel dienlich ist? Raskolnikow ist ein Gespaltener, dessen Verstand sein Gewissen auszuschalten versucht, am Ende überwiegen jedoch die moralischen Zweifel.
Fjodor Dostojewskis 1866 erschienener Ideenroman stellt die Frage nach der Legitimität von Gewalt und gewinnt im Angesicht der Verbrechen, mit denen wir uns in diesen Tagen konfrontiert sehen, beunruhigende Aktualität.
Raskolnikows radikales Weltbild teilt die Menschen in „gewöhnliche“ und „außergewöhnliche“ Menschen ein. Ist unter der Voraussetzung einer allumfassenden Freiheit des Menschen ein Verbrechen zu rechtfertigen, wenn dies im Namen des Fortschritts begangen wird und einem übergeordneten Ziel dienlich ist? Raskolnikow ist ein Gespaltener, dessen Verstand sein Gewissen auszuschalten versucht, am Ende überwiegen jedoch die moralischen Zweifel.
Fjodor Dostojewskis 1866 erschienener Ideenroman stellt die Frage nach der Legitimität von Gewalt und gewinnt im Angesicht der Verbrechen, mit denen wir uns in diesen Tagen konfrontiert sehen, beunruhigende Aktualität.
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Musik
Licht
Dramaturgie
Besetzung
Elsa Kuhn
Statisterie
Felicitas Lerch
Statisterie
Oliver Frljić inszeniert den auf drei Stunden verschlankten Stoff gegen die Erwartungen. Den Doppelmord Raskolnikows streift er nur kurz. Dagegen wird die wahnhafte Gedankenwelt des Jurastudenten, der sich zum Übermenschen mit Lizenz zum Töten minderwertigen Menschen-„Materials“ stilisiert, in zwei Prologen ausführlich erörtert. David Müller verleiht der orientierungslosen Hauptfigur undämonische, zeitlos moderne Züge.
Die Regie punktet mit leitmotivischen Bildern: So taucht als surreale Reminiszenz immer wieder ein vom Mob zu Tode gequältes Pferd aus den Alpträumen Raskolnikows auf. Mal dominiert ein Kruzifix die Bühne, mal ein rotes Riesenbett. Oder eine Kutsche umrundet sinnlos kreisend die Szene. Leise Bass-Drones wirken beklemmend, verwehte Chopinwalzer verströmen morbiden Zerfall. Gegenwartsbezüge? Die muss die Regie nicht eigens austappen.
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Keine Hoffnung, nirgends. Wenn überhaupt, dann könnte absurder Humor das Menschheitselend lindern. Und so gibt es für Slapstickszenen mit Raskolnikow, seinem Freund Rasumichin und dem Ermittler Porfirij Petrowitsch Szenenapplaus. Zu Recht. Valentin Richters Rasumichin hantiert herrlich nervös mit meterhohen Papierstapeln, Felix Strobels energiegeladener, aufgekratzter Ermittler Petrowitsch verwickelt den Jurastudenten Raskolnikow in irre Gedankenspielerei. Alle drei turnen dabei behände an einer roten Klappleiter herauf und herunter. Schließlich tragen sie den zwischen die Leiterteile geklemmten Raskolnikow von der Bühne. Dass auch die staatlichen Organe zum Witz werden, ist nur konsequent.
Ebenso, dass dem matten Helden irgendwann der Himmel voller Äxte hängt. Zwischen denen bewegen sich die Figuren, nehmen Raskolnikows philosophischen Größenwahnessay Satz für Satz auseinander. Sie verabschieden das Publikum mit der Frage, ob die Parole „Niederreißen, was niedergerissen werden muss?“ einen Gedanken wert sei. Dieser erscheint in Zeiten wie diesen – im Guten wie Schlechten – aktueller denn je.
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Der Schauspieler David Müller schafft den Spagat, den Wahn seiner Figur mit den rationalen Argumenten zu überblenden, die Raskolnikow ins Feld führt. Zugleich legt er die Widersprüche dieses Menschen offen, der seine Mutter und die Schwester ausbeutet und selbst sein Studium nicht schafft. Gabriele Hintermaier als Mutter entlarvt seine Inkonsequenz ebenso treffend wie die Schwester, die Celina Rongen bemerkenswert selbstbewusst zeigt. Da weist die Regiearbeit weit über den Roman hinaus, der gerade den Frauenfiguren kein scharfes Profil zugesteht. Und die Stuttgarter Schauspielerinnen setzen dabei Maßstäbe. Auch Therese Dörr als Ehefrau des Alkoholikers Marmeladow wächst unter ihrer grauen, verhärmten Schminke über sich hinaus.
Igor Pauskas Bühnenraum ist schlicht und mit starken Symbolen ausgestattet. Dass der Roman von 1866, den Frljić mit seinem Regieteam klug gestrafft hat, so zeitlos auf die Bühne des Schauspielhauses kommt, liegt an den großen, schockierenden Bildern, die der Regisseur entwirft. … Daniel Regenbergs Musik lässt sentimentale Verzweiflung in harte Alltagsgeräusche fließen. So folgt sie virtuos der Dramaturgie.
Auf dieser Bühne ist immer Bewegung. Erzeugen schon die szenischen Arrangements einen starken emotionalen Sog, steigert sich dieser Eindruck noch mit den Atmosphären, die die Musik von Daniel Regenberg schafft, bei der mal unheimliche Stimmungen entstehen, dann wieder ganz zarte lyrische Töne klingen, mal die Musik auf sich aufmerksam macht, mal fast unhörbar eine Szene grundiert. Regenberg hat eine Musik komponiert, die die Inszenierung ständig begleitet und sie in ihrer Intensität steigert.
Faszinierender Sog. Grandiose Schauspiel-Leistung.
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Das Psychoduell des Täters Raskolnikow mit dem Ermittler Petrowitsch … beschränkt sich auf Slapstick-Einlagen, in denen Felix Strobel als Ermittler rasend schnell umherzappelt, Beile von der Decke herabfahren lässt, mit einem sehr langen Verhandlungstisch immerhin für einen Putin-Moment sorgt und David Müller als Raskolnikow zwischen eine Leiter klemmt und mit einem Aktenberg bewirft. Das ist witzig, energiegeladen und sorgt für Szenenapplaus – und ist ein Bruch mit der düsteren Stimmung der Inszenierung.
Wichtigstes Bühnenutensil ist ein schäbiges Pferdegespann, Raskolnikow will sich nicht wie andere Figuren davor spannen lassen. Diese Häutungen in der Auseinandersetzung mit der Schuld vollführt David Müller angespannt, fahrig, nervlich angegriffen – und zum Segen des Abends nicht über den Rand des Wahnsinnigen hinaus. Bei ihm bleibt man als Zuschauer dran und dabei, wie er den Schock seiner Tat verarbeitet. Das gleiche gilt für Sven Prietz, der als pädophiler, aber reicher Belästiger von Raskolnikows Schwester, ebenfalls mit Schuld, schlechtem Gewissen und zusammengezimmerten Ausreden ringt. Beide schaffen es, mit ihrer Figurenzeichnung Ambivalenz zu zeigen und den Zuschauenden ein glaubhaftes seelisches Desaster vorzuführen.
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Eine gute Ensembleleistung, aus der Müller, Skorupa und Rongen hervorstechen.
Paula Skorupa spielt Sonja sehr eindringlich und psychologisch glaubwürdig. Sie zieht ein großes Holzkreuz mit einer überdimensionalen Christusfigur über die Bühne, was trotz der andauernden Dunkelheit ausgesprochen eindringlich wirkt.
Diese Passagen [mit Raskolnikow, Rasumichin, Porfirij Petrowitsch] gehören überhaupt zu den besten der gesamten Inszenierung, deren einzige Schwäche die allzu dunkle Szenerie ist.
Petersburg ist hier eindeutig eine „Stadt der Halbverrückten“ … All die dunklen Straßen, Gassen, Kneipen, Spelunken und Bordelle werden allerdings nur angedeutet. So kommt der wichtige Bewusstseinsprozess der Personen dennoch immer wieder deutlich zum Vorschein, die Atmosphäre verdichtet sich dramatisch und explosiv. Sehr viel szenische Dichte besitzt ebenso der Mord an einer wehrlosen Stute, die einer Meute von Gutsbesitzern ausgesetzt ist und während des vergeblichen Ziehens eines Wagens von diesen totgeprügelt wird. Der Regisseur überträgt diese Pferdefigur hier nämlich auf einen Menschen. Gleichzeitig sieht man die Attrappe eines lebendigen und eines toten Pferdes, was natürlich gerade in Stuttgart symbolhafte Bedeutung gewinnt. Ort und Umwelt werden dabei also durchaus zu einem geistigen Symbol. Gleichzeitig zeigt sich hier Dostojewskijs Ästhetik des transzendentalen Realismus. Das reale Geschehen wird mit großer Präzision beschrieben. Es ist eine Technik, die auch der Regisseur Oliver Frljic konsequent anwendet.