forecast:ödipus
living on a damaged planet (τύφλωσις, II)
Schauspielhaus
Dauer – ca. 1:55 Std., keine Pause
Uraufführung
Sa – 13. Mai 23
Sa – 13. Mai 23
Sehenden Auges in den Untergang? Eine Seuche wütet in Theben, das Wasser wird knapp, die Temperaturen steigen. Pythia, die Stimme des Orakels von Delphi, predigt Verzicht und Neuordnung, doch ihre Warnungen verhallen ungehört. Der Fortschrittsglaube ist im Kern noch immer ungebrochen, Hybridautos rollen auf achtspurigen Straßen, von Weltuntergangsstimmung ist in den idyllischen Bergen zwischen Riesling und Grauburgunder nichts zu merken.
König Ödipus ringt mit seinem Schwager Kreon um Konzepte politischer Herrschaft – wieviel Wahrheit ist dem Volk zuzumuten? Seine Gattin Iokaste ist von der Urteilsfähigkeit der Eliten überzeugt und hat für die einfachen Bürger:innen nur milde Verachtung übrig. Der Chor der „Wohlstandswutschnaubenden“ fordert Teilhabe an Entscheidungsfindungen und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Der blinde Seher Teiresias hingegen hat sich am Fußsockel der Macht eingerichtet und verkündet, was die Menschen hören wollen. Eine Welt ohne Wachstum ist auch für ihn schlicht nicht vorstellbar. Doch Pythias Orakel bleibt Mahnung: „dass das gesetz, mehr von allem zu besitzen, jetzt finally an seine grenzen stößt“. Aus ist die Party und vorbei.
Der 1986 geborene österreichische Dramatiker Thomas Köck, eine der interessantesten Stimmen seiner Generation, hat die Geschichte um den König Ödipus, der unwissentlich zum Mörder seines Vaters und zum Gatten seiner Mutter wird, in die Gegenwart übertragen und stellt die Frage nach Erkenntnisfähigkeit und Verantwortung des Einzelnen ins Zentrum.Vorhersagen einer düsteren Zukunft gibt es zuhauf, doch warum fehlt uns die Kraft zum Handeln? Die modernen Orakel haben gesprochen, die Priester des Altertums wurden von ratgebenden Expert:innen abgelöst. Wir alle wissen, was kommen wird, nämlich nichts, was wir nicht schon alle längst ahnen. „nichts weiß der mensch / der das göttliche sucht / vom planetarischen / an dem er sich vergeht“
König Ödipus ringt mit seinem Schwager Kreon um Konzepte politischer Herrschaft – wieviel Wahrheit ist dem Volk zuzumuten? Seine Gattin Iokaste ist von der Urteilsfähigkeit der Eliten überzeugt und hat für die einfachen Bürger:innen nur milde Verachtung übrig. Der Chor der „Wohlstandswutschnaubenden“ fordert Teilhabe an Entscheidungsfindungen und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Der blinde Seher Teiresias hingegen hat sich am Fußsockel der Macht eingerichtet und verkündet, was die Menschen hören wollen. Eine Welt ohne Wachstum ist auch für ihn schlicht nicht vorstellbar. Doch Pythias Orakel bleibt Mahnung: „dass das gesetz, mehr von allem zu besitzen, jetzt finally an seine grenzen stößt“. Aus ist die Party und vorbei.
Der 1986 geborene österreichische Dramatiker Thomas Köck, eine der interessantesten Stimmen seiner Generation, hat die Geschichte um den König Ödipus, der unwissentlich zum Mörder seines Vaters und zum Gatten seiner Mutter wird, in die Gegenwart übertragen und stellt die Frage nach Erkenntnisfähigkeit und Verantwortung des Einzelnen ins Zentrum.Vorhersagen einer düsteren Zukunft gibt es zuhauf, doch warum fehlt uns die Kraft zum Handeln? Die modernen Orakel haben gesprochen, die Priester des Altertums wurden von ratgebenden Expert:innen abgelöst. Wir alle wissen, was kommen wird, nämlich nichts, was wir nicht schon alle längst ahnen. „nichts weiß der mensch / der das göttliche sucht / vom planetarischen / an dem er sich vergeht“
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Musik
Video / Live-Video
Musiker:innen
Licht
Dramaturgie
Choreinstudierung
7 prophezeiungen ...
... für eine gesellschaft der zukunft, anlässlich der inszenierung forecast:ödipus – von dem dramatiker (und orakel) thomas köck
1. denkmäler für boomer:innen
die chance, dass in den nächsten dekaden all jene, die in den 50er und frühen 60er jahren des letzten jahrhunderts geboren sind, sterben werden, ist relativ hoch. mit ihnen stirbt dann eine der reichsten generationen der bundesrepublik: sie hatten wirtschaftswachstum, kaum kriege, es wurden unmengen an geld in sozialleistungen und öffentliche bildung gesteckt, und die soziale marktwirtschaft hatte ihre hochphase - das alles wird mit ihnen verschwinden, aber man wird ihnen nach vielen, vielen jahren endlich die verdienten denkmäler errichten, denn es wird ihr gewaltiges erbe gewesen sein, das die zukunft verändert haben wird.
2. erbschaftssteuer galore!
ihr unfassbares erbe, das sie als generation hinterlassen, wird kollektiviert, in erhöhte sozialleistungen und in subventionen überführt, um schritt für schritt eine nachhaltige art des wirtschaftens zu entwickeln. der lohn der pflegefachkräfte wird außerdem massiv erhöht, genauso wie eltern bis zur volljährigkeit ihrer kinder für jedes einzelne einen stundenlohn gemessen am medianeinkommen (+50% weil stresszulage) bekommen werden (alleinerziehende elternteile erhalten im übrigen das dreifache, was auch den katholizismus und das patriarchat abschaffen wird, weil wer wird dann noch heiraten wollen?). das innenministerium wird außerdem zum ministerium für care arbeit am körper wie am planeten - kurz: ministerium für cakwap.
3. flats for the masses!
wohnungen werden gratis zur verfügung gestellt, außerdem werden autos in innenstädten verboten. stattdessen wird es mietautos geben, die man für transporte nutzen kann. der öffentliche nahverkehr wird revolutioniert und kollektiv gestaltet durch staatlich entlohnte taxisysteme, für die man credits bekommt, durch die man dann den lebensraum aufwerten kann. dadurch werden besonders länder und städte im globalen süden interessant und beliebt, die durch die energiewende insgesamt an einfluss gewinnen, weil an deutschen städten, seien wir ehrlich, eigentlich nur das kapital interessant ist - schön und lebenswert ist es hier wirklich nie gewesen.
4. champagner statt geld!
überhaupt wird geld einfach keine große rolle mehr spielen. es wird noch welches geben, um halt damit bezahlen zu können , aber große, aufgepumpte spekulative haufen von spekulativem geld werden keine rolle mehr spielen, weil man millionär:innen und milliardär:innen ganz einfach eines tages köpfen wird, weil ihr system ans ende gekommen ist. dadurch wird handwerk und innovation wieder eine ganz andere rolle spielen, außerdem transnationale kooperationen im wissenschaftssektor, weil es plötzlich nicht mehr um profit von einzelnen gehen wird, sondern um das geistige wachstum der gesamten menschheit - wovon nahezu alle schöngeistigen bereiche profitieren werden. kunst, pflegearbeit, literatur und die champagnerhersteller:innen können endlich völlig ohne profitrisiko ihr ganzes potential entfalten, denn the future is tasty!
5. it’s the economy, stupid!
kindeskinder werden auf shitstorms und cancelschreie nostalgisch blicken, wie auf wahlkampfauftritte von edmund stoiber. wenn die ökonomische ungerechtigkeit verschwunden ist, weil das auf extraktion basierende system des globalen kapitalismus an die wand gefahren wurde, werden auch transkulturelle spannungen und culture wars an ihr ende gekommen sein - it’s mathematics, stupid!
6. saubere energie!
ein zwischenschritt dahin ist saubere energie, die der globale norden natürlich irgendwann mithilfe von großen neokolonialen sonnenkollektorenfeldern ausbauen möchte - was allerdings zu einer verschiebung von reichtum führen wird, zu arbeiter:innenbewegungen im globalen norden und zu demokratisierungsprozessen, an deren ende die länder des globalen südens schließlich die globale machtkarte neu gezeichnet haben werden - ähnlich wie mit dem langen verschwinden der hegemonialmächte in der mittelmeerregion, wie venedig, athen und dubrovnik durch die transatlantische handelsachse und die dadurch neu entstandene verteilung von reichtum und macht.
7. no more meat - no more heat!
in zukunft wird man völlig angewidert auf schlachthäuser, massentierhaltung und den verzehr von tierischem fleisch schauen. es wird eine der größten verschiebungen auf der landkarte der gewohnheiten sein. tiere werden wieder heilig sein. und genauso wie flüsse und wälder wird man sie zu juristischen subjekten erklären, die rechte aber auch pflichten haben und deren räume respektiert werden, um das gleichgewicht auf dieser mittlerweile schon ordentliche schlingernden kugel nicht wieder zu destabilisieren. insgesamt wird man dereinst auf diese gesellschaftliche epoche zurückblicken, wie man heute auf die hochzeit des kolonialismus zurückblickt, mit scham, verärgerung und wut. und das wachstumsprinzip wird in zukünftigen gesellschaften mit einem tabu behaftet sein, ähnlich wie inzest. nur bis dahin sind es noch ein paar jahrzehnte. viele systemische umstürze werden den weg bis dahin noch steinig gestalten. deshalb mein tipp, wenn sie ein:e glückliche:r boomer:in sind, mit einem kräftigen pensionskonto: denken sie an ihre kinder und ihre enkelkinder, die könnten dieses geld bald brauchen, um in den zukünftigen, ökonomisch und ökologisch zugespitzten verhältnissen zu überleben. natürlich könnten sie auch gesamtgesellschaftlich denken und etwas gegen klimawandel und die ewigen trickle down gesänge der oberen 10% machen, aber das hier sind keine utopien, sondern prophezeihungen.
und ps: die bahn wird in zukunft einfach immer pünktlich sein. promised!
und ps: die bahn wird in zukunft einfach immer pünktlich sein. promised!
Das insgesamt sehr überzeugende Ensemble agiert vor und auf einem dreigeschossigen gerüstartigen Aufbau unter einem blutroten Himmel. Über eine Videoleinwand, gehalten von riesigen Teufelskrallen, flimmern Ballerspiele oder die Protagonisten - live gefilmt in Nahaufnahme. Zwischendurch tobt der greise Chor aus Wohlstands-bürgern als Rap Gang über die Bühne.
Isch over mit den Mythen und dem Wachstum. Bildungsauftrag somit erledigt, verkündet Iokaste am Ende ernüchtert. Denn ein „Weiter-so“ statt dem geforderten Systemwechsel zeichnet sich ab. Holy Shit möchte man rufen: frech, unterhaltsam und entlarvend – forecast:ödipus am Schauspiel Stuttgart. Tosender Applaus!
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… Und siehe da, die Überschreibung funktioniert. Denn Köck vermittelt seine Apokalyptik meist mit ironischer Note …
Alles in allem gelingt dem Autor Thomas Köck hier eine zeitgeistig durchlüftete Mythenkorrektur, die in der Regie von Stefan Pucher bilderstark, mit viel Schwung und lustvoll überdrehtem Wumms daherkommt – Bitterernstes, unterhaltsam bizarr aufbereitet. Stürmischer Beifall.
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Der Konnex liegt auf der Hand. In Theben wütet die Seuche, schuld daran ist der Mensch, im Antikendrama der schuldlos schuldige König Ödipus, bei Köck nun die Menschheit insgesamt. Das Bühnenbild von Nina Peller suggeriert fies unaufgeregt, dass man den Herrscherpalast besser nicht verließe, weil draußen die Welt brennt. … Versammelt sind die Erben des System Laios, des Herrschers, den Ödipus erschlug und der von unendlichem Wachstum träumte. Zwei könnten jetzt aufräumen. Ödipus, von Thomas Hauser ausgestattet mit träumerischer Selbstverliebtheit, oder der dampfende Macher Kreon (Sebastian Röhrle), ein Neoliberaler im schwäbischwürttembergischen Mercedes-Land.
Natürlich bringen beide nichts zuwege, hören weder auf das leuchtende Orakel Katharina Hauter, noch auf die stählern präzise Botin Josephine Köhler und so muss schließlich Therese Dörr dem ganzen patriarchalen Weltausbeutungssystem die Wut vor die Füße kotzen. Sie spielt Iokaste, kommt, eigentlich schon tot, mit heraushängenden Augäpfeln und wütet mit Furor gegen die Unfähigkeit an, die Tragödie da zu erkennen, wo sie stattfindet. Das ist so umwerfend wie wohlfeil. Aber doch muss man es wohl immer wieder und wieder loswerden.
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Das Ensemble genießt es offenkundig, den sprachgewaltigen „Zungen-streit“ mitsamt Kriminalermittlung (eine Stadt sucht einen Mörder, nämlich den von Laios) zu zelebrieren. Selten war ein Botenbericht so unterhaltsam wie der von Josephine Köhler. Wenn Iokaste (Therese Dörr) das pflichtschuldig eingearbeitete (Alte-)Männer-Bashing heraus speit, wird für ausgleichende Ambivalenz gesorgt.
Abschließend Jubel für alle nach dem verbalen Parforceritt durch die thebanisch-schwäbische untergangsgeweihte Welt.
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Es treten gegeneinander an: Das Orakel Delphi, das inspiriert von giftigen Dämpfen und gewandet in giftgrünes Bondageoutfit nach einem Systemsturz ruft. Ihr Opponent: Der blinde Seher Thereisias, den die Regie im Tütü-Kostüm lächerlich macht und gleichzeitig als Sieger der Geschichte markiert. Er prophezeit, was gewünscht wird. Er reproduziert das System – und profitiert davon. Sie sind Gegner, aber doch die einzigen Erwachsenen auf der Bühne. Sie ignorieren nicht, was alle sehen.
Die Katharsis von "forecast:ödipus" liegt in der Lust am völlig überdrehten Tragödien-Stoff. … Das fetzt, macht Laune und dekonstruiert Ödipus brutaler als es jeder "Die Zeit"-Essay über die Überholung alter Mythen durch gegenwärtige existentielle Krisen je könnte. Passend zum Eskapismus der "Tragödie" blendet Pucher dazu auf einer Leinwand Crash-Szenen aus einem Baller-Spiel ein.
[Der] dramaturgisch geschickt entwickelte Gegensatz zwischen der marginalisierten Perspektive der Haupt-Betroffenen der Gegenwarts-Krisen und dem dominanten Opfer-Diskurs der Eliten – im Stück repräsentiert durch einen greisen Chor, der sich um den Wohlstand der "Mitte der Gesellschaft" sorgt – macht "forecast:ödipus" zu einem wahren Erlebnis. Das angesprochene und attackierte Bildungs-bürgertum im Publikum bedankt sich bei Autor und Regie mit donnerndem Applaus.
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Doch wie gelingt es Köck, Pucher und dem gesamten Ensemble, Ödipus’ tragische Erkenntnis, dass er selbst es ist, der seinen Vater tötete, in unser aller moderne Tragik zu verwandeln? Indem eben diese Doppeldeutigkeit auf allen Ebenen bestechend ausgespielt wird. Sprachlich gelingt dies in der für Köck typischen Kombination aus traditioneller und moderner Sprache, mit rhythmisiertem Wortwitz und vielerlei Anspielungen. … Dazu agiert das gesamte Bühnenensemble schauspielerisch auf sehr hohem Niveau, allen voran mit beeindruckender Leistung, besonders in den wortgewaltigen Monologen, Iokaste (Therese Dörr) und die Botin alias Josephine Köhler, sowie Gast Thomas Hauser in der Rolle des Ödipus – erst herrlich naiv, dann zunehmend und glaubwürdig verzweifelnd.
… und als i-Tüpfelchen: Live gemixte, gespielte und gesungene Passagen von Meike Boltersdorf und Tim Neumaier (auch Posaune), die an ihren Mischpulten auf dem hohen Gerüst das Bühnengeschehen mal sanft begleitend, mal mit dichten, dunklen Bässen untermalen. Am Ende lange Beifallsstürme, ein frenetisch gefeiertes Ensemble einer zu Recht frenetisch gefeierten Uraufführung, die wie ein gewaltiger Donnerschlag noch lange nachhallt.
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Wie Kassandra will niemand den Aufschrei der Pythia wahrhaben, die einen Systemwechsel einfordert, was beim greisen Chor, der auch die „Wohlstandswutschnaubenden“ genannt wird, auf Unverständnis stößt. Er steht da auch stellvertretend für das Premierenpublikum, das direkt angespielt wird, weil es auch sehenden Auges ist, aber nicht aus seiner Wohlstandsfalle heraus kommt. … Wie die Stuttgarter Maske Teresa Annina Korfmacher, Jannik Mühlenweg und Valentin Richter in alte Menschen verwandelt, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, ist grandios.
Besonders, wenn der Chor aufritt, gibt es wummernde Discorhythmen, zu denen alte Menschen ganz jung tanzen. Mit Meike Boltersdorf (Vocal und Synthesizer) und Tim Neumaier (Posaune und Synthesizer) agieren zwei hervorragende Musiker. Musik, Video, die antikisierenden Kostüme, die zugleich zeitgenössisch wirken, Text und vor allen Dingen das hervorragende Ensemble verbinden sich zu einem überzeugenden Kunstwerk.
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Das neue Stück von Thomas Köck hält sich weitgehend an die Konstellation der mythischen Figuren, wie wir sie von Sophokles kennen, und konfrontiert sie, durch ergänzende Motive und sprachlich, mit unserer Gegenwart des Computerzeitalters und der Auto-gesellschaft. Rhythmus und Metrum in längeren Passagen und die Rhetorik des „gehobenen Stils“ kontrastieren mit Jargon und Vulgarismen …
Köck kommt zu der Erkenntnis, dass unsere heutigen Probleme nicht mit der Tilgung der Schuld eines Ödipus gelöst werden können. Das ahnten wir fast. Das Theater hat sich verändert. Die tragische Fallhöhe des „Narrativs“ vom Vatermörder und Mutterschänder ist unterwegs verloren gegangen. … Immerhin erinnert uns der Theaterabend auf sinnliche Weise an jene Wahrheit, die den Stuttgarter Spielplan zusammenhält: dass „back to normal“ keine Option ist. Zustimmung, viel Applaus …
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Das wird ein Abend, das wird schnell klar, der ein hehres Ziel verfolgt – nur noch kurz die Welt retten – und die „Wohlstandswutschnaubenden“ ins Visier nimmt, die zwar verstehen, dass sich Dinge ändern müssen, aber nicht handeln (wollen) und nicht erkennen, dass sie selbst zum Problem geworden sind. Die „Schnaubenden“ sind in Köcks „Forecast: Ödipus“ ein Greisenchor (toll, Teresa Annina Korfmacher, Jannik Mühlenweg, Valentin Richter), der zwar die Erwartung optisch erfüllt, der aber nicht nur in der Lage ist, geile Töne von sich zu geben, sondern bisweilen die Szene auf dem glitschigen Folienboden vor einem hohen Gerüst wie Fanta 4 in ihren besten Zeiten rockt.
Mit [Stefan Pucher als] Regisseur hat Köck, dessen Ästhetik nach eigener Auskunft von einem Konglomerat aus Theater, Theorie, Sprache und Rhythmus geprägt ist, welches ein poetisches Arrangement zwischen politischen wie gesellschaftlichen Debatten ergibt, einen kongenialen Partner gefunden.
Köcks musikalische Sprache übersetzt Pucher in eine traumatische Choreografie, die Therese Dörr in der Rolle von Ödipus‘ Mutter Iokaste ebenso zornig wie gewaltig auf die Bühne bringt. …
Wunderbar ergänzen sich Autor Köck und Regisseur Pucher in ihrem Humor. Bierernst zelebrieren beide den Niedergang der Zivilisation nicht. … Mit grauen Perücken und Falten aus der Maske sind die jungen Ensemblemitglieder Teresa Annina Korfmacher, Jannik Mühlenweg und Valentin Richter [als greiser Chor] um Jahrzehnte gealtert. Wenn sie von einer Zukunft singen, die es nicht mehr gibt, glaubt man ihnen aufs Wort. Der Chor, der in der Antike Zeitgeist vermitteln sollte, ist aus der Zeit gefallen.