Fly Ganymed

von Paulus Hochgatterer
Eine Kooperation mit der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, Studiengang Figurentheater
Schauspielhaus
Dauer – ca. 1:30 Std, keine Pause
Deutsche Erstaufführung
Sa – 15. Jan 22
Was wissen wir eigentlich von den vielen Kindern, die sich ganz alleine auf gefährliche Fluchtrouten begeben und selbst für erfahrene Beobachter nahezu unsichtbar bleiben? Die ohne Schutz und Begleitung versuchen, über die Grenze in ein sicheres Land zu kommen?
Ein neunjähriger Junge flieht vor dem Krieg. Er muss sein Dorf verlassen und wird von seinem Großvater einem Schlepper übergeben. Mit dessen Hilfe soll er nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden. In einem Pipeline-Rohr auf einem LKW versteckt, tritt er eine gefährliche Reise an. Auf dieser Fahrt lernt er zu überleben.
Unberechenbarkeit und Willkür begleiten ihn, und er erfährt, dass jede Grenze, die er überquert, Gefahren und Demütigungen mit sich bringt. Aber ganz alleine ist er nicht. Denn in seinem Versteck ist noch ein anderes Flüchtlingskind, ein älteres Mädchen, das viel weiß, keine Angst hat und ihm hilft. Halt findet er in Geschichten und Erinnerungen an seinen Großvater und sein Dorf. Sie geben ihm die Gewissheit, dass etwas von seinem Zuhause bleibt und immer bleiben wird.
Der österreichische Schriftsteller und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer hat mit Fly Ganymed eine bewegende Flüchtlingsgeschichte aus der Sicht eines Kindes geschrieben, die der österreichische Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan gemeinsam mit Schauspieler:innen des Ensembles sowie Studierenden des Studiengangs Figurentheater der HMDK und eigens gebauten Puppen auf die Bühne bringen wird.
Inszenierung
Bühne & Kostüme
Musik
Dramaturgie

Pressestimmen

Stuttgarter Zeitung
Dorothee Schöpfer, 17. Jan 22
"Der Enkel, neun Jahre alt, fasziniert von Computerspielen und seine Angst mit Dauergeplapper übertönend, ist kein Schauspieler, sondern eine Puppe. Genauer: eine lebensgroße Klappmaulpuppe, geführt und gesprochen von Adeline Rüss vom Studiengang Figurentheater der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Und diese Puppe mit den aufgerissenen Augen ist ganz fix kein lebloses Ding mehr, sondern ein Kind, dem wir alle seine Ängste, seine Widerborstigkeit und Bedürftigkeit abnehmen. Das gelingt nicht nur im Zusammenspiel mit einer anderen Puppe, dem Mädchen (geführt von Anniek Vetter), … sondern auch im Spiel mit den Menschen."

"Herausgekommen sind Figuren, die alles andere als erwartbar und immer mehr als nur Opfer sind."

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Deutschlandfunk Kultur
Cornelie Ueding, 17. Jan 22
"Paulus Hochgatterer und sein kongenialer Partner … Nikolaus Habjan treten mit der programmatischen Absicht an, sich dieses heiklen Themas anzunehmen - weder mit Mitteln drastischer Vergröberungen, noch mit gefühlsseliger Betroffenheitsgeste. Zentrales Medium ihrer subtilen Form der Annäherung ist eine lebensgroße Puppe, die den Jungen darstellt…. Allein die "Puppe" ermöglicht es, wütende Trostlosigkeit und unfassbare Traurigkeit auszudrücken - ohne einen Anflug von Sentimentalität; nur sie macht es möglich, ins Innere einer Figur zu kriechen, ohne sich ihr intim anzunähern. Und so erlebt man mit jeder Geste, jedem Blick zugleich das Einzelschicksal und ahnt hinter dem schnellen Wechsel von Bockigkeit, Wut, Entsetzen und Hilflosigkeit das Leid Tausender. Ein doppelter Blick, der anrührt und zugleich mit künstlerischen Mitteln wie dem schnellen Wechsel der Themen und Gefühle auf Distanz hält."

"Auch hier freilich: Kein breites Ausmalen der Schikanen und entwürdigenden Überprüfungen – eher schlaglichtartige, kurze Einsprengsel, die Hilflosigkeit und Überforderung aller, auch die der Fluchthelfer und der Grenzschützer, anschaulich zeigen: Zeigen - nicht beschreiben."

"Und genau dies ist das erklärte Ziel von Habjans unprätentiöser Inszenierung: Dass die emotionale Hornhaut, die wir uns im Lauf der Jahre zugelegt haben, etwas dünner wird."

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Nachtkritik
Steffen Becker, 16. Jan 22
"Die sanfte wie sorgenvolle Präsenz von [Elmar] Roloff, wie die ganze Unaufgeregtheit der Inszenierung, machen den tiefgreifenden Verlust von Heimat begreifbar."

"Dass "Fly Ganymed" sich dem Publikum nicht aufdrängt, sondern sich umso effektiver Schritt für Schritt in die Seele vorarbeitet, liegt auch am Einsatz der Puppen. Sowohl der kleine Junge als auch eine ältere Jugendliche … werden von Schauspielerinnen der Hochschule für darstellende Künste, Studiengang Figurentheater, bewegt. Und sie machen ihre Sache großartig."

"Die Ohrfeige, das Herumschubsen des Buben bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung, die folgende Flucht ins Nacherzählen eines Computerspiels, das Gefühl von Ausgeliefert-Sein trifft das Publikum umso unvermittelter. Das liegt nicht nur am emotionalen Umweg über die Puppe, sondern auch an der gelangweilten Routine, mit der die realen Schauspieler:innen (Jannik Mühlenweg und Therese Dörr als Grenzbeamt:innen, Gábor Biedermann als Schlepper) ihre jeweilige Verfügungsgewalt ausüben."

"In Europa wuchert der Stacheldraht. In griechischen Lagern nagen Ratten Kleinkinder an. Die Medien berichten. Aber an all diese Gewalt haben wir uns gewöhnt. "Fly Ganymed" gelingt es, diese Gleichgültigkeit zu erschüttern – zumindest für eine Stunde und 30 Minuten."

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taz
Sabine Leucht, 20. Jan 22
"Hier hat [Habjan] die Charakterköpfe plus Oberkörper den Stuttgarter Figurentheater-Studentinnen Adeline Rüss und Anniek Vetter anvertraut. Und die machen das toll! Dem von Vetter geführten Mädchen strömen der Teenagertrotz und die Pseudoabgeklärtheit einer vermutlich mehrfach Missbrauchten aus allen Poren. … Hochgatterer, der auch Kinderpsychiater ist, hat die kindliche Psyche hier exakt eingefangen und mit Mimits (so heißt er in seinem falschen Pass) Besessenheit vom Nintendo-Universum zugleich eine Brücke gebaut zu den Zuschauern im Globalen Nord-Westen.
Obwohl Mimit mit seiner Ziege spricht, die er zurücklassen musste, scheint alles an ihm vertraut. Vor allem, weil Adeline Rüss die Klappmaulpuppe, die ja keinerlei Mimik hat, so herrlich schmollen und sich schämen lassen kann. Die junge Puppenspielerin leiht dem Jungen ihre Stimme, arbeitet aber auch mit ihrem ganzen Körper darauf hin, der den der Puppe bewegt und teilweise ersetzt. Während ihr Kopf oft hinter dem größeren der Puppe verschwindet, sind vor allem ihre Beine und Füße permanent in Aktion, verknoten sich verlegen und tippeln nervös. Die Illusion der polyrhythmisch-sprunghaften kindlichen Grundgestimmtheit ist perfekt."

"Eine vergleichbare empathische Identifikation mit einer Figur ist man im deutschsprachigen Theater inzwischen so wenig gewohnt, dass man sie stellenweise fast als zu dick aufgetragen empfindet, obwohl der Abend mit expliziten Gewaltszenen geizt. Schon wenn der Junge zum Sichausziehen gezwungen und vermeintlich neckisch mit dem falschen Pass auf den Kopf geschlagen wird, tut das beim Zuschauen weh. Und soll es auch."

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Ludwigsburger Kreiszeitung
Arnim Bauer, 22. Jan 22
"[Der Einsatz von Puppen] ermöglicht ganz andere Darstellungsweisen, die abseits von triefender Sentimentalität und falsch tönender Betroffenheit eine sensible Exploration des Erlebens dieses Kindes, das nur die Stimme seines Großvaters als Halt in einer feindseligen Welt hat, erlaubt. Und Habjan nutzt diese Möglichkeiten weidlich, durch eine ganze Reihe von klugen Einfällen, unterstützt von der Musik von Kyrre Kvam und einer feinen Lichtregie, lässt er die Emotionen des Jungen über die Puppe, welche hervorragend geführt wird von Adeline Rüss … den Zuschauer geradezu erfühlen."

"Theater hat immer dann Qualität, wenn es den Zuschauer wirklich berührt. Genau das geschieht in dieser Inszenierung, die von ihrer Lebendigkeit lebt, die an einem Einzelschicksal wie so häufig viel besser darstellen kann, was sich hinter Zahlen und Berichten verbirgt. … So zeigt Habjan völlig unaufgeregt, aber punktgenau, eher leise denn durch krakeelende Anklage, einen tiefen Blick in die Seele eines Kindes, das sich behaupten muss gegen scheinbar übermächtige Umstände und Gegner. Und Habjan schafft es sogar noch, hin und wieder so etwas wie Witz und Humor aufblitzen zu lassen, was aber wundersamerweise die Tiefgründigkeit der Aufführung noch verstärkt."

"… wie immer ein kleines besonderes Highlight, wenn der Doyen des Ensembles, Elmar Roloff, spielt..."

Fidena (Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V.)
Elisabeth Maier, 18. Jan 22
"Mit seinem Regieteam meistert Nikolaus Habjan den Spagat zwischen berührendem Puppenspiel und einem politischen Theater, das die Sorgen und Ängste der Kinder in Zeiten von Flucht und Migration sehr ernst nimmt. Die jungen Puppenspielerinnen Adeline Rüss und Anniek Vetter fördern mit ihrem sensiblen Spiel die inneren Konflikte der Kinder schön zutage. Beiden gelingt das Kunststück, sich in die Sprache der Kinder hineinzudenken. Mit ihren Stimmen und starker Technik erwecken sie starre Masken zum Leben. Aus den vermeintlich groben Zügen der Klappmaulpuppen arbeiten sie wunderschöne, feinste Gefühlsregungen heraus. Ebenso überzeugt ihre Interaktion mit den Schauspielern. "Fly Ganymed" legt die Grausamkeit der Flucht aus der Sicht der Kinder mit Theaterbildern offen, die ins Herz treffen."
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Reutlinger Generalanzeiger
Angela Reinhardt, 17. Jan 22
""Klappmaulpuppen" heißen [Nikolaus Habjans] ab der Hüfte lebensgroßen Kreationen für die Kinderfiguren – und es ist faszinierend, wie wir als Zuschauer unsere Emotion auf das unebene Gesicht dieses Neunjährigen projizieren. Fröhlich wirkt er, scheint zu lachen, dann sieht man die Angst in seinen Augen blitzen, alles im selben, auf geheimnisvolle Weise ausdrucksvollen Puppengesicht."

"Das bedrohlich-suggestive Bühnenbild von Denise Heschl, die atmosphärische Musik von Kyrre Kvam und manch gute Ideen des Regisseurs sorgen … für einen nachdenklichen Abend."

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Kultura extra
Thomas Rothschild, 15. Jan 22
"Uneingeschränkter Applaus gebührt den Puppenspielerinnen Adeline Rüss und Anniek Vetter. In schwarzen Trikots und Mützen führen sie die beiden lebensgroßen Figuren, die von der Hüfte aufwärts gebaut sind und sich die Beine ihrer Spielerinnen aneignen. Die bewegen mit der linken Hand den linken Arm ihrer Schützlinge. Mit der rechten Hand manipulieren sie den Mechanismus für den Kopf und den Mund auf dem Rücken der Puppen. Das ist schon virtuos, vollends bravourös wird es durch die Stimme, die sie den Figuren neunzig Minuten lang absolut kompetent verleihen."
Trailer
Einblick mit Nikolaus Habjan
und Gwendolyne Melchinger

Regisseur Nikolaus Habjan spricht über

verschiedene Themen in „Fly Ganymed“

Nikolaus Habjan über
den Text von Paulus Hochgatterer
Nikolaus Habjan über das Puppenspiel
Nikolaus Habjan über
die Puppe als Schauspieler
Nikolaus Habjan über das Thema Flucht